Sie sollen Kirche vor Ort ein Gesicht geben

Mitarbeiterbesprechung der evangelischen Gartenkirche St. Marien in Hannover
epd-bild / Jens Schulze
Gelernte Gemeindekuratoren sollen keine Ehrenamtler oder Mitarbeiter ersetzten, sondern die kirchliche Arbeit in der Gemeinde unterstützen. (Symbolbild)
Ehrenamtliche Gemeindekuratoren
Sie sollen Kirche vor Ort ein Gesicht geben
Die Prognose ist klar: 2050 gibt es in Bayern nur noch halb so viele evangelische Pfarrpersonen wie heute. Deshalb bildet die Landeskirche seit sechs Jahren Ehrenamtliche zu Gemeindekuratoren aus. Sie sollen die kirchliche Arbeit vor Ort verstärken.

An diese Szene erinnert sich Regine Neuhauser-Riess noch heute: Wie der Pfarrhauskeller nach dem Sonntagsgottesdienst zehn Zentimeter tief unter Wasser stand. "Die Pfarrerin war in Elternzeit, der Vertretungspfarrer auf einer Freizeit - wen muss man anrufen, wie reagieren?", schildert die Ehrenamtliche der 1000-Seelen-Gemeinde im Würzburger Vorort Rottenbauer. Selbst langjährigen Kirchenvorstehern fehle es in solchen Situationen häufig am nötigen Wissen über Ansprechpartner, Verwaltungsprozesse und kurze Wege.

Diese Lücke schließt die Ausbildung zum Gemeindekurator. Seit sechs Jahren können sich engagierte Ehrenamtliche von ihrem Kirchenvorstand zu dem Kurs, den das Amt für Gemeindedienst und das Evangelische Bildungszentrum Pappenheim organisieren, entsenden lassen. 64 Menschen haben die bislang drei Kurse absolviert, Regine Neuhauser-Riess ist eine von ihnen. Von Finanzen über Verwaltung, von Ehrenamtsgewinnung über Öffentlichkeitsarbeit bis Gebäudemanagement reichen die Themen der Qualifikation. Allein dass alle Kuratoren eine eigene kirchliche E-Mail-Adresse bekämen, erleichtere vieles: "So hat man Zugang zum Intranet und findet schneller die Informationen, die man braucht."

Martin Simon vom Amt für Gemeindedienst in Nürnberg ist für die Qualifizierung verantwortlich. Die ehrenamtlichen Gemeindekuratoren seien weder "Pfarrer light noch Lückenbüßer" und sollen auch die Arbeit der Hauptamtlichen nicht ersetzen, betont er. Vielmehr gehe es darum, dass "hochengagierte Ehrenamtliche optimale Unterstützung und Rückhalt bekommen". Schließlich werde die Kirche angesichts eines errechneten Personalrückgangs um 50 Prozent bis 2050 künftig viel ehrenamtlicher werden müssen. Wichtig ist dem Pfarrer, dass die Kuratoren nicht überfrachtet werden: "Es reicht, sich auf eine Aufgabe zu fokussieren." So wie bei Regine Neuhauser-Riess: Die Dozentin für Pharmazie, die sich ehrenamtlich auch im Sportverein und bei den Würzburger "Omas gegen Rechts" engagiert, hat seit März 2023 den ersten Vorsitz des Kirchenvorstands übernommen. Diesen Job machen normalerweise die Pfarrer selbst.

Vertrauen und Transparenz sind unabdingbar

Seither bereitet die Ehrenamtliche alle Sitzungen vor und leitet sie. Für Pfarrerin Anna Bamberger ein Gewinn: Der KV sei "besser informiert, schneller an den wichtigen Prozessen der Landeskirche dran und es bleibt nichts mehr liegen, wenn die Pfarrerin bei Kasualien oder Seelsorge unerwartet mehr Arbeit hat." Eine reibungslose Kommunikation haben sich die beiden "im Vorfeld gut organisiert", sagt Neuhauser-Riess - Vertrauen und Transparenz sind für sie Bedingungen, damit das Miteinander von Kuratorin und Pfarrerin klappt.
Die konkrete Gestaltung seines neuen Amts muss für Dieter Prager von St. Paulus in München-Perlach noch etwas warten. Erst mit seinem Ruhestandseintritt in drei Jahren wird der Pädagoge als Kurator richtig loslegen.

"Mein Traum wäre es, das evangelische Gesicht in einem Altenheim zu sein, das keinen Pfarrer mehr hat, oder ein Projekt gegen Einsamkeit im Alter zu starten", sagt Prager. Die Personalentwicklung in der Landeskirche ist für ihn eine Aufforderung: Jahrelang habe man sich als Gemeindemitglied zurücklehnen können. Doch wo künftig Hauptamtliche fehlten, bekomme das evangelische Moment der Taufe eine neue Rolle: "Alle Getauften sind berufen, Priesterinnen und Priester zu sein", sagt Prager. Auch als Ehrenamtlicher könne er mehr Verantwortung in der Gemeinde übernehmen. Doch trotz seines ohnehin schon großen Engagements als Vertrauensmann und Prädikant fehlte Dieter Prager oft die Kenntnis, "wie Kirche wirklich funktioniert". Der Kurs zum Gemeindekurator sei für ihn eine Erleuchtung gewesen, sagt der Vertreter für Schwerbehinderte bei der Landeshauptstadt München. "Jetzt weiß ich, wo die wichtigen Personen sitzen, und kann sie ansprechen."

Unterstützung bekommt Prager vom Kirchenvorstand und der Pfarrerin. Susanne Trimborn nennt das Amt des Gemeindekurators eine Zukunftsvision für Kirche. "Ich wünsche mir, dass es für Kirche gut weitergeht und Gemeinden vor Ort künftig neue Perspektiven haben", sagt die Pfarrerin von St. Paulus. Bei einer Studienfahrt mit Kollegen nach Wien habe sie viel über die evangelische Kirche in Österreich gelernt: "Nur jeder vierte Gottesdienst wird dort von einem Pfarrer gehalten, die Geschäftsleitung der Gemeinden liegt bei ehrenamtlichen Kuratoren und die Hälfte der Oberkirchenräte sind Ehrenamtliche", zählt Trimborn auf. Sie betrachtet die Gemeindekuratoren als "sehr positive Ergänzung", weil sie durch ihren kirchenfernen "Brotberuf" eine andere Expertise einbringen könnten als Pfarrerinnen und Pfarrer.

Regine Neuhauser-Riess wünscht sich, dass die Kirche mithilfe ehrenamtlicher Kuratoren "ihre Strahlkraft bewahren kann". Die Qualifikation lege dafür ein Fundament. Jetzt fehlen nur noch angepasste Kirchengesetze, findet sie. "Die Kuratoren brauchen eine bessere Verankerung in der Kirchengemeindeordnung", sagt die KV-Vorsitzende. Pfarrerinnen und Pfarrer müssten wissen, welche Verantwortung sie "ungestraft" abgeben dürften, die Kuratoren wiederum bräuchten einen klaren Verantwortungsbereich. Das könnte auch Bedenken bei Pfarrern aus dem Weg räumen, die Dieter Prager manchmal erlebt: Kein Pfarrer werde wegen eines Gemeindekurators arbeitslos. "Ich bin keine Konkurrenz", sagt Prager, "ich bin ein Mitarbeiter."