Queere Pfarrerin über ihre schönste Rolle

Maike Schöfer
Mirjam Zücker
Maike Schöfer vor ihrer Kirche in Berlin mit Pride-Flagge. Von ihrem ungewöhnlichen Werdegang zur Pfarrerin erzählt sie evangelisch.de Autorin Miriam Zücker.
Pfarrerin im Portrait
Queere Pfarrerin über ihre schönste Rolle
Haben Pfarrmenschen die wenigsten oder die größten oder überhaupt keine Zweifel an Gott und der Welt? Und wenn es welche gibt, wie gehen sie damit um? Von Zweifeln und Glauben, vom Ja und Amen sagen.

Maike Schöfer ist Pfarrerin. Jung, queer, radikal und elegant. Geplant hatte sie, Schauspielerin zu werden. Seit zwei Jahren lebt und wirkt sie in Berlin-Adlershof.

"Du bist keine richtige Pfarrerin" - diesen Satz bekommt sie öfter an den Kopf geworfen, wie so ein Foul aus dem eigenen Spielerteam. Aber wer ihr eine Weile zusieht, entdeckt, wie sie charmant und gezielt ihren eigenen Platz gefunden hat und behauptet. Gott sei Dank! Denn Pfarrerinnen wie Maike Schöfer braucht das Land unbedingt. Ihre Stimme ist laut und bunt und öffnet Räume, legt Wege an, die bisher fehlten oder zugewachsen waren. Räume und Wege für alle möglichen Menschen.

In einem Bremer Vorort wächst Maike auf. Ihr Elternhaus ist eine Arbeiter:innenfamilie. Religionsunterricht bekommt sie nur in der ersten Klasse. Heilig Abend geht es mit Mutter und Oma in die Kirche. Eine Bibel gibt es zuhause nicht. Aber gebetet hat sie schon immer. "Ich gehöre zu Gott" – das ist klar, solange sie denken kann.

An ihrem Glauben an Gott hat sie keine Zweifel. Bis heute nicht. Aber der Weg in die Kirche als ein Ort der Wirksamkeit, zu einer Sprache, die Maike Schöfer nicht spricht, muss erst gefunden werden.

Sie übernachtet gern bei der Familie ihrer besten Schulfreundin und sonntags geht es zusammen in den Gottesdienst. Nicht wegzudenken sind der Spaziergang danach und die lange Brunch-Tafel im Garten. Diese Gemeinschaft berührt Maike, die Sehnsucht in ihr trifft dort auf Heimat, auch wenn die vielen Formen und Worte noch lange fremd bleiben.

Schöpferisch - und auch zerstörerisch

Maike Schöfer absolviert ihr Abi mit Ach und Krach – den Krach macht sie am liebsten mit der Punkband, in der sie singt. Auf der Suche nach ihrer Rolle in der Welt ist das "Nein" eindeutig, das Nicht-angepasst-Sein-wollen treibt sie an. Ein Au-Pair-Jahr in England bringt sie dem Schauspielerinnenwunsch näher. Es gibt eine tolle Schauspielschule, dort landen vor allem die Kinder reicher Eltern. Die Zweifel an sich selbst sind so groß, dass Maike es nicht einmal mit der Bewerbung versucht.

Die Liebe zieht sie nach Berlin, in die große Hauptstadt, in der sie merkt, wie leicht man sich verlieren kann. Sie hangelt sich durch Jobs, die Arbeit im Casino bringt das nötige Geld. Ihre Rolle findet sie hier aber nicht.

In ihrem Freundeskreis studieren die meisten und das auf leichten Füßen. Sie bekommen Bafög und können "hauptamtlich" studieren. Maike Schöfer muss ihr Geld selbst verdienen. Sie entscheidet sich für ein Religionspädagogik-Studium an der Evangelischen Hochschule. Nicht nur, weil das Einschreiben ohne Numerus Clausus ist. In ihrer Familie hatte bisher niemand studiert. Sie kam aus keiner traditionsgeladenen Pfarrersfamilie. Sie kannte gerade mal die Weihnachtsgeschichte. "Ich wusste, dass ich nicht doof bin. Ich kann schöpferisch – und auch zerstörerisch – wirksam sein."

Fragen, die Maike Schöfer in sich trägt, werden im Studium beantwortet – wenn sie am Unterricht teilnehmen kann. Oft fehlt sie, weil sie arbeiten muss. Ihre Exegesen schreibt Maike, während sie im Casino sitzt und die Rubel rollen. Das geht nicht konfliktfrei ab. Das Verständnis für Studierende, die auch arbeiten müssen, hätte sehr viel größer sein dürfen.

Das Studium bietet zwei Schwerpunkte: Schule und Gemeinde. Maike Schöfer entscheidet sich, Lehrerin für Religion zu werden. Für das Pfarramt sind die Zweifel (noch) zu groß. Schließlich sei sie ja "keine Volltheologin" – auch so ein Satz, der gerne von der Seite mal kommt.

Und außerdem kribbelt es ein bisschen am alten Traum: Vor einer Schulklasse stehen, Lehrerin zu sein, ist auch eine Rolle. Eine, die Maike Spaß macht.

Das nagende "Genüge ich, reicht das?" begleitet sie leise und immer

Als das Studium mit Bravour absolviert ist, wünscht Maike Schöfer sich einen Platz an einer Berliner Brennpunktschule. Wo sie den Gott, der in ihrem Herzen ist, sichtbar machen, von ihm erzählen, die unbekannte Sprache ins "Menschisch" übersetzen kann. Denn das ist ihr in den Schoß gefallen - vielleicht gerade weil sie kein Hebraicum & Co. auf ihrem Laufzettel verbucht.

Dieser Wunsch erfüllt sich nicht. Maike landet für sieben Jahre an einem Potsdamer Gymnasium. Hier ist es auch gut. Sie lernt authentische Pfarrpersonen kennen und erlebt: "Das sind ja Menschen!" Dazu kommt das Netzwerk im Internet, die digitale Kirche. Hier findet sie Vorbilder, die sie bisher entbehrt hat und Rückenwind. Doch dieses nagende "Genüge ich, reicht das?" begleitet sie leise und immer.

Maike Schöfer wird Mutter, genießt das sehr und spürt doch schnell die Isolation und Einsamkeit, die damit Händchen hält. Zwischen den Kirchenbänken ist sie plötzlich nicht ganz so gerne gesehen – mit kleinem, Geräusche machenden Kind. Aus dem Bauch heraus gründet sie ihren Instagram-Account @ja.und.amen und postet Inhalte, die viel zu wenig vernommen werden - über Mutterschaft und Kirche. Sie wird allzu schnell auf das Muttersein reduziert und wehrt sich. Dann schreibt sie eben nur noch über die Kirche – zu sagen hat sie genug, denn: Maike Schöfer ist keine, die zu allem nur "Ja und Amen" sagt. Da geht noch viel mehr. Und vielen spricht sie aus dem Herzen. Es entsteht ein digitaler Ort, sie kann von Zuhause aus existieren und teilhaben.

Jeder ist willkommen im quietsche-kitschigen Büro von Pfarrerin Maike Schöfer.

Dann kribbelt es noch einmal. Warum nicht doch Pfarrerin werden? Ihr digitales Netzwerk bestärkt sie, das Vikariat einfach zu machen. Und Maike geht diesen Schritt – zum Vikariat nach Charlottenburg. Die erste Predigt ist überhaupt kein Problem. Sie hat gelernt, Menschen zu bewegen, sie empfindet sich in keiner ohnmächtigen Position. Da ist Verbundenheit, eine große Menge an "Followern", das Netzwerk ist tragfähig.

Gegen alle Zweifel

Die folgenden zweieinhalb Jahre sind trotzdem kein Spaziergang, eher Schwerstarbeit. Die Strukturen machen Druck, Maike arbeitet unter einer andauernden Bewertungssituation.

"Für mich ist kein Platz" – das Gefühl will keine Ruhe geben. Es kommen Zweifel an der eigenen Kompetenz, immer wieder. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Dann ist es geschafft: Auf eigene Faust, mit viel Widerstand gegen alle Zweifel und nicht ganz ohne Blessuren, hat Maike Schöfer sich den Ort, an dem sie heute ist, erkämpft. Und es ist die schönste Rolle ihres Lebens, sagt sie.

Dort, wo sie genau das machen und sagen kann: "Ich möchte mein Leben Gott geben. Hier wird mein Herz ruhig. Ich will Platz schaffen für Gott. Wenn ich etwas anderes mache, ist da zu wenig Platz für Gott."

Nach dem Vikariat bekommt Maike eine der wenigen Berlinstellen. Die Verklärungskirche in Berlin-Adlershof wird ihr neues Zuhause und breitet die Arme weit für sie aus. Frei steht die Kirche da in der ruhigen Straße, rundherum ist Platz zum Wachsen und Sein. Ihr Büro liegt nur einen Katzensprung entfernt von der katholischen Kirche, verbunden durch eine Pforte. "Alle für einen. Einer für Alle." Das wird hier gelebt.

Über Maikes Pfarrbüro weht die Pride-Flagge. "Ja, sie wurde auch schon ein, zweimal abgerissen. Dann haben wir sie eben etwas höher gehängt." Kommt jemand mit beladenem Herzen in ihr quietsche-kitschig herrliches Büro, zündet Maike Schöfer erst einmal eine Kerze an. Guten Kaffee gibt es auch. Alle sind willkommen.

Fast jeden Sonntag predigt sie in ihrer Kirche. Ganz bewusst schlüpft sie in den Talar, eine Verkleidung ist es nicht. Vielmehr ein "heiliges Spiel" - und auch eine Form von Performance. Sie gebraucht liturgische Gesten wohl überlegt, sie feiert das, den Gottesdienst, die Tiefe der Worte. Ja, die Pfarrerin ist unter anderem auch gern traditionell. 10 Uhr Gottesdienst ist ein Muss, gar keine Frage. Und daneben braucht es genauso das Experiment und das Vertrauen darauf. Maike Schöfer möchte anregen, Kirche anders zu denken, nicht als Entweder-Oder. Beides ist miteinander vereinbar, die Tradition und das Spiel mit dem Glauben.

Die alten Zweifel haben sich in gesunden Trotz verwandelt. "Die Kirche bildet sich aus jedem einzigen Gläubigen, wenn ich ein Teil davon bin, dann habe ich hier auch Platz."