Was ist eigentlich eine Kirchentagspastorin?

Anne Helene Kratzert
Bruno Kelzer
Anne Helene Kratzert ist Kirchentagspastorin für den Kirchentag in Hannover 2025.
Interview mit Anne Helene Kratzert
Was ist eigentlich eine Kirchentagspastorin?
Die Pfarrerin Anne Helene Kratzert ist ab dem 1.Mai neue Kirchentagspastorin. Nach 12 Jahren verlässt Sie ihre Stelle als Pfarrerin in Karlsruhe. Nächste Station: Kirchentag in Hannover 2025. Wo sie dort zu finden ist und was sie macht, wenn gerade nicht Kirchentag ist, das hat Sie evangelisch.de erzählt.

evangelisch.de: Was ist eigentlich eine Kirchentagspastorin?

Anne Helene Kratzert: Die Kirchentagspastorin ist federführend bei den Planungen für das geistlich-liturgische Programm des Kirchentages. Das ist eine organisierende, analysierende, planende, begleitende, konzeptionelle Arbeit für das Programm dieses großen Kirchenfestivals, das alle zwei Jahre stattfindet. Ich finde wichtig zu sagen, dass ich dabei nicht immer vorn im Rampenlicht stehe. Der Kirchentag ist eine Ehrenamtsbewegung. Das heißt, ich gucke ganz intensiv mit den Teams, den Ausschüssen, Gremien und Projektgruppen, die da sind: Wer passt gut für welche Aufgabe?

Ich koordiniere die Eröffnungs- und Abschlussgottesdienste, aber ich feiere sie nicht selber. Ich bin vielleicht in einem liturgischen Part dabei, aber ich bin nicht diejenige, die zum Beispiel die Predigt hält. Man schaut aus dem Gros spannender Prediger und Predigerinnen, aus der gastgebenden Landeskirche, deutschlandweit, aber auch international, wer geeignet ist. Ich bin sozusagen konzeptionell im Hintergrund verantwortlich.

Und wie wird man Kirchentagspastorin?

Kratzert: Ich habe mich beworben! Die Stelle war ausgeschrieben und sie wurde mir tatsächlich zugeschickt, von Pfarrerinnen, die ich kenne und die schon lange im Kontext des Kirchentags aktiv sind. Und zwei haben mir die Ausschreibung zugeschickt und gesagt: 'Guck mal Anne, das wäre doch was für Dich, hättest Du nicht Lust?'

Und dann habe ich das wirklich relativ lange mit mir rumgetragen, weil ich wusste, das ist nicht nur irgendwie so ein Bewerbungs-Game, in das ich mal reingehe. Wenn ich mich bewerbe und wenn ich darauf zugehe, dann will ich das auch. Dann wird es aber eine sehr krasse Veränderung für mein Leben. Deswegen habe ich darüber lange nachgedacht.

Können Sie sich an den Moment erinnern, wo Sie dachten: Ja, ich will das?

Kratzert: Ich habe das wirklich auf den letzten Drücker eingereicht. Und das war auch nicht so ein: 'Oh ja, ich will das!' Es war eher so ein: 'Okay, ich bin jetzt bereit, mal diesen Weg anzudenken und zu gehen.' Ich habe dann natürlich ganz viel mit meiner Familie darüber gesprochen. Mit meinem Mann und mit meinem Sohn, der noch zu Hause wohnt. Und gefragt, ob das eine Möglichkeit wäre, dass ich in Fulda arbeite. Wir wohnen in Karlsruhe und es war klar, dass wir nicht mal eben einfach umziehen können. Mein Sohn will nicht weg von hier und mein Mann arbeitet hier beim evangelischen Oberkirchenrat. Es war klar, da kommt was auf uns zu. Und dann habe ich kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist, dann doch meine Sachen eingereicht und gedacht: 'Okay, jetzt ist es in Gottes Hand.'

"Und dann habe ich kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist, dann doch meine Sachen eingereicht und gedacht: 'Okay, jetzt ist es in Gottes Hand.'"

Was genau werden Ihre Aufgaben sein?

Kratzert: Ich habe ja noch gar nicht angefangen und der Kirchentag hat eine irrsinnig komplexe Struktur, die ich erstmal lernen muss. Aber ich glaube, 90 Prozent sind wirklich Projektarbeit. Also, so stelle ich es mir im Moment vor, dass ich gemeinsamen mit den ständigen Ausschüssen und mit den Projektgruppen zusammen die Angebote beim Kirchentag vorbereite und natürlich auch nachzubereite. In dem Jahr, das auf Hannover zugeht, wird es darum gehen zu gestalten und anzudenken, was wir anbieten können: an politischen Nachtgebeten, an Gottesdiensten, an Andachten, an Foren und Podiumsdiskussionen. Im theologischen, im ökumenischen Bereich und im liturgischen Bereich. Also Denken und Feiern vorzubereiten. Und da werde ich immer wieder Sitzungen haben, analog und digital, in denen wir Schritt für Schritt diese Projekte bearbeiten.

Und wo trifft man sie beim Kirchentag?

Kratzert: Oh Gott, ich weiß das noch nicht so richtig. [Lacht] Also, ich denke bei den Veranstaltungen, die die Teams mit mir vorbereitet haben und bei denen ich es schaffe, da zu sein. Es ist ja nicht so, dass ich das alles durchführe. Ich moderiere das auch nicht alles, sondern ich verantworte es im Hintergrund. Und da werde ich natürlich versuchen, bei so vielen Veranstaltungen wie möglich dabei zu sein. Ich glaube das wird ein irres Programm, diese fünf Tage.

Wo hat man Sie denn früher gefunden, wenn Sie als Besucherin auf dem Kirchentag waren? 

Kratzert: Da hat man mich auf dem Markt der Möglichkeiten getroffen. Ich habe es immer geliebt, da herumzustromern. Und bei ausgewählten Podiumsdiskussionen, kulturelle, politische, theologische und ökumenische teilzunehmen. Wo man sich erstmal Input angehört hat, aber auch mitdenken konnte und die zeitgeschichtlich relevant waren. Ich fand es oft schwer, mich für etwas zu entscheiden.

Ich habe es aber auch geliebt beim Kirchentag, in so abseitige Dinge rein zu taumeln, die es ja auch gibt und für die der Kirchentag in seiner großen Diversität eben auch steht. Ich weiß noch, wie ich in Leipzig mal beim religiösen Ausdruckstanz gelandet bin, was eigentlich überhaupt nicht meins ist. Aber ich fand es so cool zu sehen: Ey, wir glauben alle an die gleiche Glaubensbotschaft, an denselben Gott, an denselben Jesus, und wir finden so unterschiedliche Formen, das auszudrücken und sei es tanzend. Ich tanze auch gerne, aber ich tanze keinen religiösen Ausdruckstanz. Trotzdem war es einfach so schön, dafür plötzlich mal so eine Offenheit zu sehen.

Und was ich auch immer sehr mochte, waren die Bibelarbeiten von Menschen, die eben keine Theolog:innen sind. Ich kann mich an eine Bibelarbeit von dem Journalisten Hans Leyendecker erinnern, die ich so wahnsinnig faszinierend und weiterführen fand.

"Ich habe es aber auch geliebt beim Kirchentag, in so abseitige Dinge rein zu taumeln, die es ja auch gibt und für die der Kirchentag in seiner großen Diversität eben auch steht"

Was ist ihr schönstes Kirchentagserlebnis?

Kratzert: Ich würde sagen, als Teenager vor irgendeiner Schule in Hamburg Altona mit anderen Jugendlichen zu stehen. Also, dass Jugendliche aus ganz Deutschland da zusammenkommen und so eine Instant-Verbindung fühlen, weil sie einfach in den Kontext der kirchlichen Jugendarbeit gehören. Das es eine wahnsinnig schöne Erinnerung.

Was braucht es mehr auf dem Kirchentag?

Kratzert: Ob es das mehr braucht, weiß ich nicht, aber ich fände es schön, wenn wir es schaffen, ein hohes Maß an Partizipation hinzukriegen. Ich glaube die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen zufrieden damit sind, irgendwo eine Stunde zu sitzen und sich was anzuhören. Das merke ich an mir selber: Ich will mitmachen, ich will mitdenken, ich will anders eingebunden sein. Das, was Menschen dann tun, das nehmen sie anders mit. Und das nehmen sie auch mit in ihre Gemeinden und dann geht vom Kirchentag auch eine wirklich gemeindeverändernde Kraft aus.

Was darf bei Ihren Kirchentagsgottesdiensten nicht fehlen?

Kratzert: Der Heilige Geist. Aber das wissen wir alle, dass es unverfügbar ist, wo er weht. Aber das Gefühl darf beim gemeinsamen Feiern nicht fehlen: Wir sind in diesem verbindenden und belebenden und feurigen Geist verbunden und zusammen. Wie sich das ausdrücken wird, das kann ich noch nicht sagen.

"Wir sind in diesem verbindenden und belebenden und feurigen Geist verbunden und zusammen"

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Kratzert: Ich freue mich auf neue Orte. Ich war jetzt zwölf Jahre in Karlsruhe und neun Jahre in den Bergdörfern in Karlsruhe. Das ist ein relativ kleiner Radius und ich freue mich auf einen größeren Radius. Neue Orte, neue Menschen, neue Geschichten, neue Gesichter.

Wo sehen Sie für sich die größte Herausforderung?

Kratzert: Alles unter einen Hut zu kriegen. Den neuen Arbeitsplatz mit meiner Familie, die weiterhin in Karlsruhe wohnt. Die Pendelei, denn ich werde auch weiterhin in Karlsruhe wohnen. Und ich fange noch mal ganz neu an, zu lernen. Ich komme in eine fremde Struktur rein. Gemeindepfarramt kann ich jetzt, aber Kirchtagspastorat wird für mich wirklich fast ein Anfang bei Null. Davor habe ich großen Respekt.

Was werden Sie an der Gemeindearbeit am meisten vermissen?

Kratzert: Die geistliche Begleitung von Lebensgeschichten. Ich habe es an dieser Arbeit lieben gelernt, dass Menschen mir dieses Vertrauen schenken, rein gucken zu dürfen in ihre völlig intimen Lebensgeschichten. Und diese für die Menschen im Horizont dieser tollen Glaubensbotschaft zu deuten und mit ihnen das zu durchleben, das wird mir sehr fehlen.

'Mutig – stark – beherzt!'- was sind Ihre Gedanken zum Kirchentagsmotto 2025?

Kratzert: Als Kirche erleben wir gerade, dass uns das volkskirchliche Paradigma in Deutschland verloren geht. Wir brauchen Mut, weiterhin diesen Anspruch zu haben hineinzusprechen in Politik, Gesellschaft, in die Bildung ganz allgemein und auch in die frommen Herzen aller unserer Mitglieder. Das wird Mut brauchen, weil wir dieses ganz selbstverständliche Standing in der Gesellschaft nicht mehr haben. Dafür brauchen wir Mut und Stärke und ganz viel Herz.

Ich glaube, es reicht nicht, wenn wir nur auf Metaebenen Ethik und Politik diskutieren. Wir müssen Menschen berühren mit dem, was Jesus gesagt hat, und mit dem, was Gott uns schenkt in unsere jeweiligen kleinen Lebensgeschichten hinein. Es muss klar werden, dass das mein Leben, mein Glauben, mein Trauern, meinen Trost, meine Liebe, trägt und verändert. Nur wenn wir Menschen mit unseren Geschichten berühren, gewinnt das Evangelium auch Kraft. Das hat Jesus sehr genau gewusst und das dürfen wir als Kirche in seiner Nachfolge nicht vergessen.