TV-Tipp: "Der Masuren-Krimi: Die verlorene Tochter"

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7. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Masuren-Krimi: Die verlorene Tochter"
Die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen oder Schlesien war lange ein Tabuthema. Die Fernsehfilmredaktionen behandelten diesen Teil der deutschen Historie wie vermintes Gelände; zu groß war die Furcht vor Beifall von der falschen Seite.

Mit dem 2007 ausgestrahlten ARD-Zweiteiler "Die Flucht" wurde die Lücke erstmals geschlossen. Das war mehr als überfällig, schließlich sind damals über zehn Millionen Menschen zum Exodus gezwungen worden; ein Trauma, das Teil des kollektiven Unbewussten wurde, denn es betraf ja nicht nur die Vertriebenen. 

Die ARD-Reihe "Der Masuren-Krimi" ist geradezu prädestiniert, das Thema aufzugreifen. Vordergründig geht es in Nadine Schweigardts Geschichte um einen Mordfall, aber der historische Hintergrund spielt dabei eine erhebliche Rolle: Nach fast acht Jahrzehnten kommt es erstmals zum Wiedersehen zweier Schwestern. Die jüngere, Rosa, ist in den Wirren der Flucht aus Ostpreußen als Baby verloren gegangen und als Agnieszka aufgewachsen. Das Treffen der beiden alten Frauen endet jedoch im Streit; die Polin fragt sich, warum die Westverwandtschaft nie nach ihr gesucht hat. Als kurz darauf in einem Waldstück ihre Leiche gefunden wird, verdächtigt die Polizei prompt den Großneffen, der womöglich um sein Erbe fürchtete. 

Ohne den Bezug zur Vergangenheit wäre das eine ganz gewöhnliche Krimihandlung, aber es gibt noch eine weitere interessante Figur: Agnieszka (Katharina Schumacher) hat eine Enkelin, die für den Fall eine erhebliche Rolle spielt. Zwischendurch gerät die junge Frau gar ins Visier der Ermittlungen, denn sie hatte einen heftigen Streit mit ihrer Oma: Marika ist gehörlos und hat eine App entwickelt, mit deren Hilfe ein Smartphone die Gebärden in gesprochene Sprache umwandeln kann; Handschuhe mit Sensoren sorgen für den notwendigen Datentransfer. Selbstverständlich beherrscht die offenbar universell talentierte Kriminaltechnikerin Viktoria Wex (Claudia Eisinger) auch die Gebärdensprache, allerdings nur rudimentär, weshalb Kollege Pawlak (Sebastian Hülk) schließlich doch eine Dolmetscherin hinzuzieht; die App hat noch ein paar Macken. Weil ein amerikanisches Unternehmen Marika nach Kalifornien eingeladen hat, um die Software dort zur Serienreife zu bringen, fürchtete ihre ansonsten völlig alleinstehende Großmutter, ein weiteres Mal im Stich gelassen zu werden; daher der Zwist.

Während der Verständigungsaspekt auf dieser Ebene sehr sorgsam behandelt wird, erscheint die Kommunikation ansonsten des Öfteren wenig schlüssig, weil alle fließend deutsch sprechen, ganz gleich, wo sie aufgewachsen sind; dass die beiden Schwestern problemlos miteinander plaudern können, ist zum Beispiel wenig plausibel. Für akustische Irritationen sorgt auch die Besetzung: Einige der deutschen Figuren werden von polnischen Mitwirkenden gespielt, sodass aus ihren Mündern nun dieses typische künstlich klingende Fernsehsynchrondeutsch erklingt. Zum Glück ist das Drehbuch von Schweigardt, die auch schon die Vorlage zur vierten Episode ("Freund oder Feind", 2023) der bislang ausnahmslos sehenswerten Reihe beigesteuert hat, viel zu gut, als dass solche Details die Gesamtqualität des Films trüben könnten. Wie sich rausstellt, bezieht sich der Titel keineswegs nur auf Agnieszka: Auch Marika war ein Findelkind. Wie das Drehbuch diese beiden identischen Schicksale miteinander verknüpft, ist ziemlich gut ausgedacht.

Die filmisch zuvor völlig unerfahrene Cindy Klink, tatsächlich gehörlos, war bei Regisseurin Frauke Thielecke offenkundig in guten Händen, sie ist die Entdeckung des Films. Eine sehr intensive Rückblende erinnert an den Grönemeyer-Klassiker "Musik nur, wenn sie laut ist" ("Wenn der Boden unter den Füßen bebt - dann vergisst sie, dass sie taub ist"). Auch die Szenen mit Matilda Jork als Pawlaks Tochter sind sehr gelungen, wie ohnehin das Kern-Ensemble, zu dem auch Karolina Lodyga als Chefin und Ex-Frau des Polizisten zählt, vortrefflich miteinander harmoniert; natürlich erzählt der Film auch die Romanze zwischen Wex und Pawlak weiter. Für deutlich mehr Krimispannung als die aktuellen Ermittlungen sorgt allerdings die horizontale Ebene, denn Wex will weiterhin Licht in das Dunkel rund um die Ermordung ihres Mannes bringen. Dessen Berliner LKA-Kollegin (Bea Brocks), die schon in den letzten Fall ("Blutgeld") verwickelt war, spielt auch diesmal wieder eine unrühmliche Rolle, weil sie offenbar in Verbindung mit dem Mörder steht. Das Schlussbild des Films ist ein Knüller, der selbst versierte Krimifans überraschen wird.