Rassismus: Fußball-Vereine und Kirche stehen auf

Getty Images/iStockphoto/isitsharp/Bob Thomas
Eigentlich ein Spielfeld für Toleranz und Akzeptanz von Unterschiedlichkeiten - der Fußballsport. Doch leider geht es manchmal ganz anders zu.
Übergriffe gegen Spieler
Rassismus: Fußball-Vereine und Kirche stehen auf
Diskriminierende und rassistische Vorfälle im Fußball scheinen international und national bis hinunter in den Amateur- und Kindersport fast schon zum Liga-Alltag zu gehören. Was erleben Spieler? Wie trifft es sie? Was kann man dagegen tun? Und was sagte die Kirche dazu? Ein Bericht mit Beispielen der vielfältigen Übergriffe, Reaktionen Betroffener und exemplarische Initiativen für mehr Toleranz auf dem Spielfeld, im Stadion und Social Media.

Vor Monaten verschoss der Niederländer Luc Castaignos beim Zweitligaspiel seines Clubs 1. FC Magdeburg (1:1 gegen Holstein Kiel) einen Handelfmeter und wurde prompt massiv im Internet beleidigt. Der Spieler - seine Mutter stammt von den Kapverden - übernahm für den Fehlschuss auf Instagram "die volle Verantwortung", äußerte aber sein Unverständnis über nicht näher genannten Angriffe: "Ich akzeptiere nicht, dass Leute alles schreiben dürfen. Hört auf, rassistische Nachrichten zu senden". Sein Verein gab ihm demonstrativ Rückendeckung. 

Einer FIFA-Studie zufolge soll es 2020 allein bei zwei internationalen Spielen - dem Finale der Männer-Europameisterschaften 2020 und dem des Afrika-Cups - zu 400.000 Beleidigungen gekommen sein, davon die Hälfte auf Social Media.

Jüngst brach der Brasilianer Vinicius Júnior (Real Madrid) - seit Jahren Zielscheibe rassistischer Beleidigungen, auch wenn er gar nicht spielt - vor Journalisten in Tränen aus, als er seine bitteren Erlebnisse schilderte. So wurde er 2023 bei einem Spiel in Valencia von Zuschauern rassistisch beleidigt, Tage später drei Verdächtige festgenommen. Aber: Er wolle doch "nur Fußball spielen", beteuert der junge Weltklasse-Kicker (23). "Ich verliere mehr und mehr die Lust am Spielen. Aber ich werde weiter kämpfen. Ich möchte, dass wir in naher Zukunft mehr Gleichberechtigung und weniger Rassismus haben, dass schwarze Menschen ein normales Leben führen können. Dass sie nach Hause kommen und keine Probleme haben." 

Szenenwechsel - vor wenigen  Wochen im deutschen ZDF-Sportstudio: Der heutige Oberliga-Kicker und DJ Stanley Ratifo (27, Pforzheim) erzählte von seinen Erfahrungen. Der Sohn einer Deutschen und jüngst beim Afrika-Cup für das Land seines Vaters Mosambik aktiv und für sein Tor gegen Sambia "wie ein Heiliger" gefeiert, kennt Anfeindungen aus seiner Jugendzeit. In seiner Geburtsstadt Halle/Saale war ihm damals von Hooligans angedroht worden, ihn zu "verbrennen", wenn er sich noch einmal im Stadion sehen lasse. Später, nach seinem Profi-Debüt in Halle mit 19 Jahren, sei er dort dann aber "geliebt" worden, so Ratifo. 

Angebliche "Fans" senden Affen-Emojis

Wie gnadenlos Hass und Hetze sein können, erlebten Spieler der deutschen U-17-Nationalmannschaft, die sich trotz ihres Erfolges bei der WM 2023 mit rassistischen Kommentaren im Netz konfrontiert sahen. Ähnlich erging es auch zwei jungen National-Kickern aus der Bundesliga, die 2023 für die deutsche U-21 bei der Europameisterschaft (in Georgien/Rumänien) aufliefen: Youssoufa Moukoko (Borussia Dortmund) und Jessic Ngankam (derzeit Mainz 05).

Beim 1:1 gegen Israel verschossen Moukoko und Ngankam je einen Strafstoß.  Von fanatischen "Fans" hagelte es rassistische Beleidigungen in den angeblich so sozialen Netzwerken. Die Unglücksraben wurden auf Instagram übel beschimpft - mit Affen-Emojis. Auf diese "Vollidioten" reagierte der dunkelhäutige Moukoko direkt: "Das ist ekelhaft." Er sei schwer getroffen von dem, was er habe sehen und lesen müssen: "Kommentare, die hässlich sind. Wenn wir gewinnen, sind wir alle Deutsche, wenn wir verlieren, sind wir die Schwarzen, dann kommen die Affen-Kommentare. Solche Dinge gehören einfach nicht zum Fußball."

Der junge Dortmunder Hoffnungsspieler Moukoko erklärte, schon früher derart beleidigt worden zu sein. "Aber dieses Mal hat es mir wehgetan." Dem Hass hält er entgegen: "Wir sind alle gleich, wir bluten alle das gleiche Blut. Langsam reicht es. So langsam müssen wir ein Zeichen dagegensetzen." Auch in Social Media müsse man "gegen diese Menschen, diese Idioten kämpfen".

Die deutsche National- und Bundesliga-Spielerin Nicole Anyomi (Eintracht Frankfurt) - als Tochter einer Mutter aus Togo in Krefeld geboren - kennt ebenfalls "nicht schöne Kommentare". Was Moukoko und Ngankam passiert sei, nennt sie "erschreckend". In einem Zeitungsinterview (FR) sagte sie: "Wenn es läuft, sind wir Deutsche, wenn es nicht läuft, gilt das nicht." Das sei schade. Früher habe sie gedacht, "ins eine Ohre rein, zum anderen wieder raus", aber manchmal müsse man einfach etwas sagen, wie bei den beiden U-21-Spielern. 

Bayern-Stars lesen auf YouTube Beleidigungen vor

Angesichts von Rassismus und Hetze im Fußballsport sah sich auch der Bundesliga-Club FC Bayern München 2023 zu einer außergewöhnlichen Aktion veranlasst. In einem auf Youtube hochgeladenen Video lesen Bayern-Stars Leroy Sané und Thomas Müller schwer erträgliche, gegen sie gerichtete Beleidigungen vor. Nach rassistischen Angriffen im Internet auf den Nationalspieler Benjamin Henrichs (RB Leipzig) und den damaligen Münchner Verteidiger Dayot Upamecano verlangte die Spielergewerkschaft VDV ein härteres Durchgreifen des Staates, Verbesserungen herbeizuführen und Opfer besser zu schützen. 

Ob in Spanien, Deutschland oder andernorts: Der Fußball-Alltag spiegelt nur das wider, was in der Gesellschaft ohnehin vor sich hin köchelt oder auch heftig hervorbricht. Daher beschäftigt sich auch die Bundesregierung mit diesem Thema in dem Bericht "Rassismus in Deutschland", der 2023 erstmals erstellt wurde. Darin erklärt die Regierungsbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie für Rassismus, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, dass "Rassismus in seinen Ausprägungen viel zu lange verschwiegen, als Phänomen der Vergangenheit abgetan oder auf extremistische, neonazistische Kreise zurück geführt wurde".

"Es wird beschimpft und gedroht, online und offline"

Es werde "beschimpft und gedroht, online und offline. Dann ist es vom Wort zur Tat nicht weit", heißt es dort. Von Rassismus betroffene Menschen müssten stärker geschützt werden: "Rassismuserfahrungen sind auch schmerzhafte Ohnmachtserfahrungen", so die Regierungsbeauftragte. Dazu gehöre es, dass "wir einschreiten, wenn der rassistische Spruch in Bus oder Bahn fällt, und Hilfe anbieten, wenn Menschen attackiert werden. Das Eintreten für Demokratie lässt sich nicht wegdelegieren. Die wehrhafte Demokratie, das sind wir alle." 

Von rassistischen Angriffen und die Notwendigkeit der Solidarisierung und des Schutzes sei auch der Sport betroffen, so der Jahresbericht: "Immer wieder kommt es sowohl im Trainingsbetrieb als auch im Rahmen von offiziellen Wettkämpfen zu rassistischen Vorfällen, die zunehmend auch mediale
Öffentlichkeit erlangen." Dabei wird auf Meldungen über rassistische Vorfälle verwiesen mit Beleidigungen und Anfeindungen im Profifußball wie auch im deutschen Amateur- und Jugendsport. Eingeräumt wird, dass es bislang kaum systematische Forschung zum Thema Diskriminierung und Rassismus im Sport gebe. Neue Ergebnisse würden für Ende 2024 erwartet, heißt es im Rassismus-Bericht der Bundesregierung. 

Staatsministerin Alabali-Radovan erinnerte an die "universellen Werte Respekt, Fairplay, Toleranz, Teamgeist und Verlässlichkeit" und appellierte an die Sportvereine in ganz Deutschland, mit ihren Freizeit- und Bewegungsangeboten eine integrative Wirkung zu entfalten und Begegnungen zwischen Menschen jedweder Herkunft zu ermöglichen. Der organisierte Sport sei aufgerufen, sich aktiv gegen Rassismus im Sport zu stellen und Strukturen für die Prävention und Bekämpfung zu schaffen.

"Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus"

Wie, das stellte die Antirassismus-Beauftragte im März 2024 mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und dem 43-maligen Nationalspieler Gerald Asamoah in Berlin beim Amateurklub SFC Stern vor. Unter dem Motto "Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus" soll das Projekt des Deutschen Fußball-Bundes zur EURO 2024 Aktionen im Amateurfußball fördern. Angesichts rassistischer Anfeindungen im Sport, auf und neben dem Fußballplatz sei es "wichtig, dass der DFB hier ein Zeichen setzt und entschlossen gegen Rassismus eintritt, auch in den eigenen Strukturen".

Gemeinsam mit den Kooperationspartnern Nordostdeutscher Fußballverband, Makkabi Deutschland e.V. und dessen Bildungsnetzwerk "Zusammen1" wollen die Beteiligten antirassistische Maßnahmen speziell für den Amateurfußball entwickeln, die dann in der Pilotregion des Nordostdeutschen Fußballverbands in ausgewählten Vereinen getestet würden. Diese, etwa Antirassismus-Trainings, sollen nach der Pilotphase überall in Deutschland umgesetzt werden. Auch Fußballfans im ganzen Land seien aufgefordert, mitzumachen und ein sichtbares Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Fotos mit gekreuzten Händen symbolisierten das "Aus-X-en" des Rassismus.

DFB-Chef Neuendorf: Fußball ist unvereinbar mit Rassismus

Beim SFC Stern 1900 besuchten Alabali-Radovan, Neuendorf und Asamoah das Training der Nachwuchsmannschaften und stellten in einer Podiumsdiskussion die Ziele vor: "Unser Projekt wird Antirassismus-Trainings für Amateurvereine entwickeln" - gemeinsam mit Trainer:innen, Betroffenen, Verbandsmitgliedern und externen Expert:innen. Mit der Kampagne "Fußballzeit ist die beste Zeit gegen Rassismus" tragen "wir eine starke Botschaft auf die Plätze, in die Vereinsheime und Stadien: Wir dulden keinen Rassismus, nicht im Sport und nirgendwo sonst", so Reem Alabali-Radovan.

DFB-Präsident Neuendorf ergänzt: "Der Fußball hat eine starke Stimme und eine große Verantwortung. Fußball ist für alle da und deshalb unvereinbar mit Rassismus und Diskriminierung." Ex-Kicker Asamoah erlebte als aktiver Spieler "immer wieder Rassismus auf und neben dem Platz: Ich weiß, wie schmerzvoll diese Erfahrungen sind, wie sehr sie dich treffen". Jetzt habe man das Jahr 2024 und "wir sprechen noch immer über dieses Thema, eben weil es noch immer präsent ist. Deshalb dürfen wir nicht wegschauen". Asamoah rief dazu auf, sich aktiv einzusetzen, Zivilcourage zu zeigen und sich zu engagieren. Er glaube fest daran, dass der Fußball und die Vereine überall in Deutschland entscheidend dabei helfen könnten, Rassismus aus der Gesellschaft zu verbannen.

Zauberwort Zivilcourage

Zivilcourage ist auch der entscheidende Aspekt für den Eintracht Frankfurt-Stadionpfarrer Eugen Eckert. Natürlich kenne er aus dem Stadionalltag Einzelfälle von Anfeindungen gegen Spieler. Aber bei der Eintracht habe man in Fragen von Diskriminierung und Rassismus eine besondere Situation. Von der klaren Positionierung der Vereinsspitze über die Geschichtsaufarbeitung im Museum des Clubs zum Unrecht gegen Juden im Holocaust bis hin zu Fan-Gruppen-Reisen zu KZ-Gedenkstätten mache man in Frankfurt "sehr gute Erfahrungen", so der evangelische Pfarrer. Er habe mal im Stadion erlebt, wie Fans nach einem umstrittenen Platzverweis eines Eintracht-Spielers diskriminierende Sprüche gegen die Schiedsrichter richteten und dann aus den eigenen Rängen zum Schweigen gebracht worden seien. 

Eckert unterstreicht die besondere Bedeutung der Arbeit an der Basis, vor allem im Amateursport und insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Als Fair-Play-Botschafter des Hessischen Fußballverbandes engagiert sich der Geistliche ebenso wie Prominente bei Anti-Diskriminierungsprojekten. "Die Kinder und Jugendlichen sind aber gar nicht das Problem. Vielmehr sind es oft die Eltern am Spielfeldrand, die ausrasten und mit denen nicht zu spaßen ist", meint Eckert, der auch das Buch "Der Heilige Geist ist keine Schwalbe" verfasst hat. 

EKD-Sportbeauftragter und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, zeigt auch klare Kante: Angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus mit Hass, Hetze und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft, im Sport und in den Fußballstadien müsse man "Hass und Hetze widersprechen", weil dies zutiefst der Grundidee des Sports, einer Haltung von sportlicher Fairness, gegenseitigem Respekt und Teamgeist widerspreche. Der DFB und die Vereine seien hier klar positioniert. Dennoch gebe es "leider Menschen, die das nicht begreifen, und politische Gruppen, die Hass und Hetze gezielt schüren".

Im Sport "Schönheit unseres Unterschiedlich-Seins erfahren"

Sport sei für ihn "eine gute Gabe Gottes, in der wir die Schönheit unseres Unterschiedlich-Seins erfahren können. Das wird in vielen Vereinen beispielhaft gelebt, in denen Menschen fair miteinander spielen - selbst wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen". Er finde es aber "unerträglich, wie sich Rechtsextreme hier anmaßen, Deutschland-Bestimmer zu sein und zu sagen, wer dazugehört und wer nicht. Sie zerstören den Sport, spalten die Gesellschaft und verletzten Menschen".

Gegen Hass und Hetze aufzustehen, dürfe daher nicht allein den Sportler:innen und Vereinen überlassen werden, so Latzel. "Das muss bei der Fahrt ins Stadion, auf den Rängen, im Bierzelt danach geschehen. Hier geht es um Grundfragen von Menschlichkeit und Anstand. Da gibt es Null-Toleranz." 

Der EKD-Beauftragte hat auch junge Spieler:innen besonders im Blick: Es sei "wichtig, dass sie den geschlossen Rückhalt ihres Teams, ihres Vereins und ihrer Fans erfahren. Allgemein formuliert: Wer gegen dich ist, ist auch gegen uns". Latzel erlebe Vereine und Verbände hier klar positioniert. DFB-Präsident Neuendorf etwa beziehe immer wieder öffentlich sehr deutlich Stellung. Ein anderes Beispiel sei der frühere Eintracht Frankfurt-Präsident Peter Fischer mit seiner klaren, ablehnenden Haltung zur AfD. Auch hier gelte es: "Wir brauchen das Aufstehen der Anständigen." Es gelte, "allen Jungs und Mädels von der G-Jugend an zu vermitteln und vorzuleben: Menschlichkeit, Anstand, Respekt".