Theologin Bahr: Suizidalität mit gezielter Prävention begegnen

Theologin Bahr: Suizidalität mit gezielter Prävention begegnen
22.09.2022
epd
epd-Gespräch: Björn Schlüter

Hannover (epd). Die evangelische Theologin Petra Bahr sieht in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu einer gesetzlichen Regulierung der Suizidassistenz einen Beitrag, um das Thema umfassend zu betrachten und Präventionsangebote zu stärken. „Die Stellungnahme des Ethikrates weitet den Blick zur Dynamik von Suizidalität insgesamt“, sagte Bahr, die selbst Mitglied im Ethikrat ist, am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Nur so kann angemessen auf das Thema mit seinen vielen Graubereichen reagiert werden: Wie entstehen Sterbewünsche? Welche Selbstbilder stehen dahinter? Welche Lebens- und Notlagen? In welchen Kontexten?“, erläuterte die Regionalbischöfin des Kirchensprengels Hannover.

Der Ethikrat hatte am Donnerstag seine Stellungnahme in der aktuellen Debatte um eine Regelung der Suizidassistenz vorgelegt. Das Gremium gibt in dem 134-seitigen Papier keine konkreten Empfehlungen an den Gesetzgeber. Herausgehoben wird allerdings unter anderem die Bedeutung einer freiverantwortlichen Entscheidung zum Suizid und von Maßnahmen zur Suizidprävention.

Bahr betonte, Suizidalität dürfe nicht nur als individuelles Thema verstanden werden. „Deshalb braucht es parallel zu einer klugen rechtlichen Regelung, die verhindert, dass der assistierte Suizid als leichtester Ausweg aus schwersten Lebenslagen verstanden werden kann, mehr und zielgenauere Suizidprävention.“ Die Frage, wer helfe, wenn das Leben unerträglich geworden ist, verlange auch nach gesellschaftspolitischen Diagnosen und Antworten.

Der rechtliche und ethische Schlüsselbegriff Selbstbestimmung werde im Deutschen Ethikrat als relationale Selbstbestimmung verstanden, erläuterte Bahr. „Das entspricht auch dem christlichen Verständnis des Lebens. Menschen leben immer in sozialen Bezügen, die Lebenswillen, Lebensfreude und Lebenssinn fördern oder beschädigen. Das gilt besonders für extreme Notlagen oder schlimme Diagnosen.“ Daraus folge eine „Multiakteursverantwortung“.

Das Thema Suizid könne nicht einer Berufsgruppe oder einer Institution aufgelastet werden, betonte Bahr. „Verantwortliche gibt es auf vielen Ebenen.“ Praktisch stellten sich in Zukunft viele Fragen, die sorgsam beantwortet werden müssten - auch in den Kirchen und ihren diakonischen Einrichtungen. Dazu zähle etwa die Frage, wie eine mögliche gesetzliche Option des assistierten Suizids die Kultur christlicher Einrichtungen und ihrer im christlichen Selbstverständnis engagierten Berufsgruppen verändert, sagte die Theologin. „Wer berät und wer entscheidet? Was bedeutet das für die, die Menschen seelsorgerlich oder pflegerisch im Sterben begleiten?“

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Nun geht es im Bundestag um eine mögliche Folgeregelung.