Literaten auf Luthers Spuren

Drohnen-Aufnahme der Wartburg in Eisenach
© epd-dpa/Thomas Lohnes
Die "schöne Burg" mit ihrer Geschichte hat Autor Uwe Kolbe ebenso begeistert wie die Begegnungen während seines Aufenthalts auf der Wartburg.
"Wartburg-Experiment"
Literaten auf Luthers Spuren
Drei Autoren begeben sich in diesem Herbst auf der Wartburg freiwillig in Klausur. Sie folgen den Spuren Martin Luthers, der hier vor 500 Jahren in das Neue Testament übersetzte. Erste Ergebnisse werden am Reformationstag präsentiert.
29.10.2021
epd
Renate Kortheuer-Schüring

Der Lyriker Uwe Kolbe hat es als erster gewagt. "Es hatte einen unglaublichen Reiz für mich, auf der Wartburg zu sein", sagt Kolbe. "Hier herrschte einst die Macht der Poesie, hier war Gott gegenwärtig." Vier Wochen hat der Dichter fern des Berliner Alltags in dem alten Gemäuer verbracht - in einer Art innerem Dialog mit Luther, der hier vor 500 Jahren das Neue Testament ins Deutsche übersetzte, und ist fasziniert von dessen kraftvoller Sprache. Für Kolbe war es ein "Experiment an Kopf und Seele".

Das "Wartburg-Experiment", das den Dichter nach Eisenach führte, ist ein Projekt der Martin Luther Stiftung und der Deutschen Bibelgesellschaft. Es soll an Luthers sogenanntes Septembertestament von 1521/22 erinnern und zugleich zeitgemäße poetische "Übersetzungen" biblischer Stoffe anregen. Nacheinander residieren in diesem Herbst drei Schriftsteller auf der Burg: Uwe Kolbe, Senthuran Varatharajah und Iris Wolff.

Der 1957 in Ostberlin geborenen Kolbe, Verfasser etwa der Gedichtbände "Psalmen" (2017) und "Die sichtbaren Dinge" (2019), kehrte schwärmend von einem "wunderbar reichen Aufenthalt" nach Berlin zurück. Ihn faszinierten die Natur, der Thüringer Wald, die "schöne Burg" mit ihrer komplexen Geschichte und die Begegnungen dort gleichermaßen. Immer im Hintergrund dabei: der sprachmächtige Luther, der hier voller Zweifel und Anfechtungen die "Klinge mit dem Teufel" kreuzte.

"Luther spricht unsere Sprache"

Unter dem noch frischen Eindruck von der Wartburg warnt Kolbe im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst die Kirche davor, ihre Überlieferung des lutherischen Wortes zu vergessen. In vielen modernen Bibelübersetzungen sei Luthers Text völlig abgeschliffen worden, kritisiert der Dichter: "Die Abweichungen tun mir beinahe weh." Mitunter höre er Pfarrer auf der Kanzel, deren Sprache noch profaner sei als die in der Zeitung. Die Sprache der Religion, der göttlichen Wahrheit, sei aber nicht die der banalen Alltagskommunikation.

"Die originale, nur leicht orthografisch angepasste Luther-Bibel ist dagegen immer kraftvoller", sagt Kolbe, der voller Bewunderung für die "unglaubliche Leistung" Luthers ist. Dass dieses Übersetzungswerk heute nicht mehr verstanden werde, glaubt er nicht: "Luther spricht unsere Sprache." Ihm gleich tue es keiner.

Religiöse Motive immer präsent

Auch Kolbe selbst hat sich inzwischen an die Arbeit gemacht. "Das Wartburg-Konglomerat" soll der Titel seines neuen Buches sein - eine Reminiszenz an die geologische Beschaffenheit des Burgfelsens. Geplant sind 28 mit je einem Bibelwort überschriebene Texte - Prosa und Gedichte, für jeden Tag seines Aufenthalts einer.

Wie viele andere Schriftsteller hat auch Kolbe, der in der DDR praktisch unter Publikationsverbot stand, keine Scheu vor Religionsbezügen, Glaubensfragen oder -zweifeln in seinen Gedichten. Vor allem die Kritiken seiner "Psalmen" hätten ihm jedoch gezeigt, dass manche Medien Literatur mit religiöser Thematik wenig ernst nähmen, dabei spielten religiöse Motive und Themen traditionell in der Dichtung eine große Rolle. "Oder ist Rilke etwa nicht spirituell?!", fragt Kolbe kampfeslustig.

Literarische Traditionslinie

In der Tat knüpft auch das "Wartburg-Experiment" an eine protestantische Tradition an, bei der Theologie und Literatur jahrhundertelang eng verflochten waren. Luther selbst dichtete. Evangelische Pastoren von Paul Gerhardt über Johann Peter Hebel bis zu Eduard Mörike waren Dichter: Es entstand eine lange literarische Linie intensiven Ringens um existenzielle Fragen und um eine zeitgemäße und poetische Sprache für biblische Botschaften zugleich.

Die literarischen Früchte des "Wartburg-Experiments" sollen im kommenden Herbst veröffentlicht werden. Dann werden auch Senthuran Varatharajah, der aus Sri Lanka stammt und als Kind mit der Bibel deutsch lernte, und die Eichendorff-Preisträgerin Iris Wolff ihre Burg-Erfahrungen zu Texten verarbeitet haben.

Am Reformationstag, 31. Oktober, gibt es in Eisenach eine Lesung mit Wolff, Varatharajah und Kolbe, nebst ersten Einblicken in das "Wartburg-Experiment". Am 2. November ist im Erfurter Augustinerkloster ein Rundgespräch der drei Autoren mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) über die Bedeutung der Bibel heute geplant. Am 14. November soll ein literarischer Gottesdienst auf der Wartburg folgen, der auch im Livestream übertragen wird.