"Ramadan, ein tägliches Festival des Essens"

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"Ramadan, ein tägliches Festival des Essens"
Der Ramadan geht am Freitag mit dem traditionellen Fastenbrechen zu Ende. Der Theologie-Professor Mouhanad Khorchide beklagt im Interview, dass dem Ramadan, so wie er heute vielfach praktiziert wird, der eigentliche Sinn abhanden kommt. Statt um spirituelle Sammlung gehe es oft vor allem ums Iftar-Essen am Abend.

Das Fasten wird erklärt damit, dass es eines der fünf Säulen des Islams ist. Was hat es mit dieser Säule auf sich?

Mouhanad Khorchide: Das Fasten war im Islam nicht von Anfang an vorgeschrieben. Erst zwei Jahre nach der Auswanderung des Propheten Mohammed nach Medina in 624 taucht es als Vorschrift auf. Es geht nicht darum, zu fasten, um gefastet zu haben und eine Pflicht zu erfüllen, sondern darum wie der Koran sagt, über das Fasten den Weg zur Frömmigkeit zu finden.

Worin besteht denn der Zusammenhang zwischen Fasten und Frömmigkeit? Man wird doch nicht frommer dadurch, dass man tagsüber auf Essen, Trinken und Sexualität verzichtet – oder doch?

Khorchide: Der Gelehrte al-Ghazali (gestorben 1111) unterscheidet zwischen drei Stufen des Fastens. Da ist zum einen das Fasten der Masse - derer, die lediglich tagsüber nicht essen und trinken und auf Sexualität verzichten. Diese Form des Fastens wird als die erste Stufe bezeichnet, weil mit dem Verzicht nichts weiter verbunden ist. Dann gibt es die zweite Stufe, das Fasten der Besonderen, wie al-Ghazali sie bezeichnet; in dieser Stufe beginnt der Fastende zudem, sich selbst zu reflektieren. Das eigentliche Fasten beginnt, wenn man sich von materiellen und körperlichen Bedürfnissen fernhält, um in sich selbst spirituelle Werte aufzuspüren. Die dritte und höchste Stufe bezieht sich auf diejenigen, die neben dem körperlichen Verzicht auch mit dem Herzen fasten; diese Stufe erreichen all jene, die sich selbst nicht nur auf der ethischen Ebene reflektieren, sondern die sich auch auf einer spirituellen Ebene in ein tiefes Gespräch mit Gott begeben. Um das eigentliche Ziel des Fastens zu erreichen, müssten eigentlich Muslime im Ramadan auf Sparflamme umstellen – und zwar die materiellen Bedürfnisse betreffend und auch die sozialen Kontakte. Es braucht innere Ruhe, um andere Werte in sich zu entdecken, um sich neu zu formen, um seine Beziehung zu Gott, aber auch zu sich selbst zu hinterfragen und zu reflektieren.

"Der Ramadan darf nicht zu einem Machtdiskurs werden, indem Menschen über die Religiosität anderer Menschen urteilen"

Es entsteht nicht immer der Eindruck, dass Muslime fasten, um sich in Klausur mit sich selbst und Gott zu begeben, sondern eher, um über das Verzichten Punkte für's Jenseits zu sammeln.

Khorchide: Das mag mit der Annahme im Volksglauben zusammenhängen, dass Gott etwas davon habe, wenn man nichts esse und trinke, und einem daher wohlgesonnener wird. Gott selbst hat, wie dies der Prophet Mohammed betonte, gar nichts davon, wenn man den ganzen Tag nichts isst und trinkt. Es geht nicht um Gott. Es geht um den Menschen; das Fasten ist ein Angebot an den Menschen selbst, sich spirituell zu bereichern.

In muslimischen Communities ist eine Art von Wettrennen zu beobachten, wer der gläubigere Mensch ist. In sozialen Netzwerken und auch sonst in der Öffentlichkeit teilt man nicht nur seine Erlebnisse während des Fastens mit, sondern auch, wo man überall am Iftar-Essen teilgenommen hat. Hängt die Verbindung von Fasten und gottgefälligem Handeln mit falsch vermitteltem Wissen über den Glauben zusammen?

Khorchide: Aus dem Ramadan ein tägliches Festival des Essens zu machen, steht eigentlich im Widerspruch zu dem, was der Prophet gesagt hat: Man soll vor dem Ramadan das Wichtigste erledigen, damit man sich während des Ramadans zurückziehen und sich auf das Spirituelle konzentrieren kann. Es war ursprünglich nicht der Monat der exzessiven gegenseitigen Besuche und der Iftar-Empfänge. Es ging um Besinnung. Zwar gab und gibt es die kollektive Dimension des Fastens – aber in dem Sinne, dass man sich in der Gemeinschaft der Muslime empfand.

Heute wird im Ramadan auch zum Teil ein sozialer Druck erzeugt – in islamischen Ländern natürlich noch viel stärker als hier. In Ländern wie dem Iran und Saudi-Arabien gibt es juristische Strafen, wenn im Ramadan während des Tages öffentlich gegessen und getrunken wird. Im Islam obliegt es nur Gott, zu richten. Der Mensch schuldet nur seinem Schöpfer Rechenschaft. Der Ramadan darf nicht zu einem Machtdiskurs werden, indem Menschen über die Religiosität anderer Menschen urteilen.

Ramadan verliert immer mehr, wie mir scheint, seine eigentlich spirituelle Bedeutung, er wird zu einem Monat der Feste und Feier. Mein persönliches Dilemma mit all den öffentlichen Einladungen ist, dass ich in meiner Funktion als Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster viele Einladungen erhalte und mich auch verpflichtet fühle, an den Iftar-Empfängen teilzunehmen. Es bleibt dann aber für das Eigentliche, nämlich für die Spiritualität, nicht viel Zeit über. Das kollektive Iftar-Brechen erfolgt zum Teil auf Kosten der Spiritualität.

Die muslimischen Communities freuen sich aber über die Einladungen seitens der Parteien und von Politikern. Sie werden als Zeichen der Ankerkennung interpretiert, genauso wie wenn umgekehrt hochrangige Personen an den Iftar-Empfängen der Verbände und einzelner Gemeinden teilnehmen.

Khorchide: Es wäre meines Erachtens sinnvoller, offizielle Einladungen für öffentliche Empfänge nicht in der Fastenzeit, sondern während der Festtage auszusprechen – seitens der Muslime an die Nicht-Muslime wie auch seitens der Politik und Institutionen an die Muslime. Im Ramadan soll möglichst viel Zeit für eine Zweisamkeit mit Gott vorhanden sein. Danach das Ramadanfest gemeinsam mit Muslimen und Nichtmuslimen zu feiern würde auch widerspiegeln, dass der Monat Ramadan nicht nur eine muslimische Angelegenheit ist. Durch tägliches Feiern während des Ramadans bestünde die Gefahr, dass das Fasten ausgehöhlt wird und die eigentlichen Inhalte wie Spiritualität, Demut und Zweisamkeit mit sich und Gott auf der Strecke bleiben.

"Durch tägliches Feiern während des Ramadans bestünde die Gefahr, dass das Fasten ausgehöhlt wird"

Zwei "technische" Fragen zum Schluss: Warum verschiebt sich die Fastenzeit? Warum beginnen und beenden nicht alle Muslime den Fastenmonat am selben Tag?

Khorchide: Der islamische Kalender orientiert sich am Mond, so dass die Monate 29 oder 30 Tage haben und sich im gregorianischen Kalender jährlich um elf bis zwölf Tage verschieben. Es gibt unterschiedliche Zugänge zu der Frage, wie der entsprechende Ausspruch des Propheten: "Fastet, wenn ihr den neuen Mond seht" zu lesen ist. Wörtlich oder sinngemäß, also via astronomischen Berechnungen? Je nach Leseart kommt es zu Abweichungen von ein bis zwei Tagen. Früher konnte man nicht berechnen, wann die Mondsichel auftaucht, daher war das Sehen mit dem bloßen Auge der Maßstab für den Beginn des Monats Ramadan. Heute können wir das. Es gibt Länder oder hier in Deutschland bestimmte Gruppen von Muslimen, die sich an das Wörtliche halten und erst dann mit dem Fasten beginnen, wenn aus Saudi-Arabien die Nachricht kommt, dass die Mondsichel gesichtet wurde. Das ist übrigens ein Beispiel für unterschiedliche Interpretationen des Korans und der Hadithe. Die zeitgemäße Lesart orientiert sich nicht am Wortlaut, sondern am Sinn – und zwar mit Hilfe der uns heute zustehenden Möglichkeiten.