Tatort Spiegel-Titel

Tatort Spiegel-Titel

Der Spiegel macht sich auf die Suche nach dem Erfolgsgeheimnis des Sonntags-Krimis. Wenn wir nicht mitreden dürfen, was Google von uns für findenswert hält, gefährden wir die Demokratie. Tilo Jung trägt kurze Hosen in der Bundespressekonferenz, und die FAZ findet das albern. Und Jörg Pilawa? Sucht die Gäste für seine neue Show auf der Resterampe.

Ja ist denn schon wieder Sommerpause? Diese Frage muss erlaubt sein angesichts der Titelgeschichte, mit der sich das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in dieser Woche an die Kioske wagt: „Die Tatort-Republik. Warum Deutschland jeden Sonntag einen Mord braucht“ lautet sie; dazu abgebildet sind zwölf aus der vermeintlich stetig wachsenden Anzahl an Kommissaren, schön bei Bier und Chips auf dem Sofa vor dem Fernseher zusammengephotoshopt.

„Zu den 50 meistgesehenen Sendungen des vergangenen Jahres zählen 23 ,Tatorte’, ähnlich populär waren nur Fußballübertragungen“,

schreibt Alexander Kühn. Und begibt sich danach ausführlich auf die Suche nach den Ursachen dieses Erfolgs. Schließlich kann es ja nicht schaden, zu wissen, wie man jede Woche zehn Millionen Zuschauen vor den Fernseher zwingt, wenn man selbst, sagen wir, einmal in der Woche einen Zeitschriftentitel verkaufen will.

Wie machen die Füchse vom Tatort das also? Drei Grundthesen:

„Es spricht viel dafür, dass der Siegeszug der Reihe in Münster seinen Anfang nahm.“

„Um den Höhenflug des ,Tatorts’ zu erklären, muss man noch einmal auf die Welt des Fußballs blicken, auf die WM 2006.“

„Der Sonntagabend ist zur Verschnaufpause geworden, bevor sich der Wahnsinn einer komplexeren Welt am Montagmorgen von Neuem Bahn bricht.“

Ah ja: Etablieren Sie Charaktere, präsentieren Sie sie als Gemeinschafts-Event und machen Sie das am besten an einem Tag, an dem das Wochenende schon hinter und die Woche noch vor einem liegt (kleiner Tipp: es ist nicht der Samstag gemeint). Und fertig ist das Erfolgsrezept, dem Sie bei längerer Laufzeit noch eine Anpassung an den Zeitgeist (beim Tatort war das: experimentell in den 70ern, bürgerlich – mit einer Ausnahme namens Schimanski – in den 80ern, kunstvoll in den 90ern, mehr Privatleben in den Nullerjahren) und ein paar aktuelle Referenzen hinzufügen. Aber bitte keine zu großen Experimente, also etwa einen schwulen Kommissar oder keine Leiche innerhalb der ersten Minuten. Dann sollte die Sache geritzt sein.

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Und jetzt sagen Sie nicht, Sie wissen immer noch nicht, warum „Deutschland jeden Sonntag einen Mord braucht“! Wer will denn so kleinlich sein und die Beantwortung des Teasers auf der Titelseite im Heft erwarten? Zumal im Text der Hinweis versteckt ist, warum eigentlich Der Spiegel eine Tatort-Geschichte auf dem Titel braucht:  

„Dabei ist der ,Tatort’ inzwischen so stark, dass seine Kraft auf andere ausstrahlt. Andere Medien leben gut von ihm“,

schreibt Kühn, meint damit aber selbstredend andere.

„Die Süddeutsche Zeitung begleitet jede Folge mit einer Vorkritik, Spiegel Online kommentiert live via Twitter. Bild und neuerdings auch faz.net warten nach der Ausstrahlung mit einem Faktencheck auf, der Krimi und Wirklichkeit abgleicht. Die dritten ARD-Programme erzielen mit Wiederholungen Bestwerte. Und Günther Jauch profitiert, wenn der vorangehende Krimi ihm den roten Teppich auslegt.“

[+++] Ob dieses Prinzip „Erst der Krimi und dann hoffen, dass die Leute bei der politischen Diskussion hängen bleiben“ auch im Altpapier funktioniert? Werden wir jetzt sehen, wenn es nun einen harten Themenwechsel gibt zur neu erfundenen Fähigkeit von Google, Dinge auch zu vergessen. Am Freitag hat das Unternehmen nach dem entsprechenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs ein Formular ins Netz gestellt, mit dem man das Löschen von Suchergebnissen beantragen kann. Innerhalb der ersten 24 Stunden haben dieses über 12.000 Menschen ausgefüllt. Doch ist dieses Löschen wirklich der richtige Weg? Die FAZ hat heute die erste Seite ihres Feuilletons freigeräumt, um Jaron Lanier darüber laut nachdenken zu lassen.

Lanier, „Informatiker, Erfinder, Komponist, bildender Künstler und Autor“ (FAZ) hat den Begriff virtuelle Realität geprägt und findet das mit dem Vergessen eine gute Sache.

„Es ist für uns alle von großem Nutzen, wenn es ,in der Cloud’ sehr viel aufrichtige Information gibt; aber wenn wir den Menschen beibringen, Informationen zurückzuhalten oder Scheinbilder zu erzeugen, leidet darunter die Qualität der Cloud als Messinstrument.“

Derzeit frisierte jeder fröhlich sein Facebookprofil – eben auch, weil wir es nicht selbst in der Hand hätten, welche Informationen im Netz wie verbreitet würden. Der undurchsichtige Such-Algorithmus von Google verwähre uns das Recht, im Dunkeln zu bleiben, schreibt Lanier. Doch das sei wichtig, und dafür gäbe es auch andere Mittel und Wege als einen Lösch-Antrag.

„Eine vollständige Garantie dafür, dass keine Information zu irgendeinem Thema jemals angezeigt wird, lässt sich nur schwer erreichen. Den Menschen die Möglichkeit zu geben, bestimmte Informationskategorien für unbedeutend zu erklären, wird ebenfalls nie eine vollkommene Lösung sein, aber näherungsweise wäre dies durchaus machbar. Man könnte zum Beispiel in der entgegengesetzten Weise verfahren, wie es die Suchmaschinen gegenwärtig bei der Werbung tun. Man könnte zum Beispiel die Möglichkeit haben, bestimmte Suchbegriffe mit dem eigenen Namen zu verbinden und sie mit einem Minuszeichen zu versehen.“

Dass wir selbst tätig werden und die Aufgabe nicht Google-Mitarbeitern der Abteilung „Lösch-Anträge-Bearbeitung“ überlassen, sei zentral, meint Lanier.

„Zentralisierte Macht ist zentralisierte Macht. Und wenn wir zulassen, dass gigantische Unternehmen zur Clearingstelle für unser aller Identität werden, dann ist das eine Form zentralisierter Macht.“

Und, großes Finale:

„Wenn wir nicht einmal die eher leichte Last tragen können, anderen Menschen Raum zur Selbstbestimmung zu geben, disqualifizieren wir uns für die Teilhabe an der Demokratie.“

Frei online steht der Artikel leider noch nicht.

[+++] Etwas nicht frei verfügbar ins Netz zu stellen, auf diese Idee käme wohl weder Teddy Teclebrhan (hier geht's zu seinem Youtube-Channel) noch Tilo Jung (Youtube-Channel), um mit einer schrecklichen Überleitung dieses Altpapier Richtung Altpapierkorb zu treiben. Die beiden sehr unterschiedlichen, aber jeweils im Internet erfolgreichen Herren sind die Medienthemen heute in der SZ (Teclebrhan) bzw. gestern in der FAS (Jung).

Teclebrhan ist einer dieser Youtube-Stars, die mittlerweile auch im realen Leben Hallen füllen, was jedoch nicht an seinem feinsinnigen Humor lieg, wie Franziska von Malsen schreibt.

„In seiner Live-Show pickt er einzelne Zuschauer aus dem Publikum heraus und lässt sie seine Figuren treffen. Es hebt das Publikum vor Lachen fast aus den Stühlen, wenn Teclebrhan eine seiner Figuren sagen lässt: ,Die Geräusche: des waren keine Ungeheuer. An dem Abend hab ich d’Mutter g’vögelt!' Feinsinnige Ironie geht anders.“

Einen Hauch von politischer Aussage könne man aber auch dahinter noch entdecken, meint von Malsen. Weil hier ein Mann mit Migrationshintergrund sich über Leute mit Migrantionshintergrund lustig macht. Womit man in Deutschland immer noch ein Tabu brechen könne.

Tabubruch bei Tilo Jung geht indes so: Er zieht eine kurze Hose und ein wenig zugeknöpftes Jeanshemd an und geht in die Bundespressekonferenz. Mareike Nieberding findet das ein bisschen albern und ist auch sonst nur ein mäßiger Jung-Fan.

„Wenn Jung über seine Arbeit spricht, erklärt er sie gerne an den Fehlern der anderen. Er scheint zu glauben, dass es ganz von selbst auf guten Journalismus hinausläuft, wenn man es anders macht als alle anderen.“

Manchmal gelinge es Jung zwar, mit seiner penetranten Art seine Interviewpartner weich zu kochen. Doch dafür müsse man schon mal 15 Minuten dran bleiben bei „Jung und Naiv“. Und das sei von den Desinteressierten, für die das Format ja eigentlich sein solle, nicht zumutbar.


Altpapierkorb

+++ Stoppt die Druckerpressen: Die Tagesschau hat gestern Abend kein Wetter gezeigt! Sondern nur einen schwarzen Bildschirm, wohl wegen technischer Probleme. Mehr Details soll es heute geben (Berliner Zeitung. Tagesspiegel. DWDL.) +++

+++ Auch Dorfbewohner haben ein Anrecht auf schnelles Internet, meint zumindest Digitalinfrastrukturminister Alexander Dobrindt (CSU). Bei der EU-Kommission hat er nun erwirkt, dass Kommunen den DSL-Ausbau in Zukunft wieder fördern dürfen, schreibt der Spiegel (Vorabmeldung). Die Bewohner der Bayerischen Hochebene sind sicher entzückt. +++

+++ Da wir gerade vom Leben ohne Internet sprechen: Ohne Smartphone, iPad oder sonst einem digitalen Hilfsmittel (und ohne Geld) soll Palina Rojinski ab Mitte Juli für ProSieben allerdings nicht ländliche Regionen, sondern fremde Großstädte bereisen und Aufgaben erfüllen, schreibt ebenfalls der Spiegel (Vorabmeldung). Bereits in dieser Woche startet Rojinskis erste eigene ProSieben-Sendung „Crazy Dates“ – ja, das ist das mit den Blind Dates in Tierkostümen. Was für Peer Schader Grund genug ist, Rojinski in seiner DWDL-Kolumne zu bescheinigen, dass sie ein großes Glück fürs deutsche Fernsehen sei. +++

+++ Am Mittag des 10. Juni 1944 erreichten 150 Mitglieder der SS-Division „Das Reich“ das französische Dorf Oradour. Die Deutschen trieben die Männer in Scheunen, Frauen und Kinder in eine Kirche und zündeten diese an. 642 Menschen starben. Und das sei nur die eine Geschichte, die „Der Fall Oradour“, der heute Abend in der ARD läuft, erzählt, meint Lena Bopp auf der Medienseite der FAZ. Denn bis heute sei nur einer der Täter vor ein deutsches Gericht gestellt worden. Doch die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt nun. „Oradour ist ein Beispiel dafür, dass die historische Aufarbeitung der NS-Zeit keinesfalls abgeschlossen ist. Mit der juristischen hat man sogar gerade erst begonnen“, schreibt Thomas Gehringer im Tagesspiegel. +++

+++ Jörg Pilawa sieht sich selber als Bezwinger der Todeszone ARD-Vorabend, erklärt er im Interview mit dem Focus (Vorabmeldung). Ab Spätsommer macht er trotzdem wieder was mit Samstagabend, nämlich die deutsche Version von Endemols „Your Face Sounds Familiar“, bei der Promis wochenweise berühmten Sängern nacheifern müssen. Pilawa gelingt es, einem schon richtig Lust auf diese Show zu machen: „Für eine ganze Staffel müssten sich die Prominenten auf sechs bis acht anstrengende Wochen am Stück einlassen. Die wirklich guten Leute bekommt man aber nicht für eine so große Zeitspanne“, erklärt er im Focus. +++ Der, so steht es in der SZ von Samstag, ab der kommenden Woche erstmals mit einer Redaktion aus zwei Städten erscheint. Denn zum 1. Juni sind Politik- und Kulturressort gänzlich nach Berlin umgezogen, während alle anderen in München geblieben sind. +++

+++ „Der Leser ist mündig, der Absender klar ersichtlich. Ich sehe da kein Problem“, sagt Max Dax über seinen neuen Job als Chefredakeur des Corporate-Publishing-Titels „Electronic Beats“ aus dem Hause Telekom. Das ganze Interview gibt es heute auf der Medienseite der SZ. +++

+++ Gute Nachrichten für alle, die Sky Atlantic HD zu ihren Fernsehsendern zählen. Dort läuft nun die BBC-Serie „Peaky Blinders“, eine Gangster-Serie aus dem Birmingham des Jahres 1919, die Marlene Halser heute ausführlich in der taz bespricht. Und die eine gar nicht so fesselnde Handlung zu haben scheint. „Vielmehr ist es die Serie selbst, die schon in der ersten von insgesamt sechs Folgen zu viel preisgibt, um nicht vorhersehbar zu sein (...). Es ist also nicht die Handlung, die an "Peaky Blinders" fasziniert, es sind die Bilder und der Soundtrack, die die Serie auf eine andere Ebene heben.“ +++

+++ Glenn Greenwald bereitet der New York Times schon wieder Ärger. In der vergangenen Woche hatte dieser ihr im Interview mit der NZZ noch vorgeworfen, bei den NSA-Dokumenten keinen guten Recherche-Job gemacht zu haben (Altpapier am Dienstag). Nun hat ein Autor der Times in einer Rezension von Greendwalds Buch „No Place to Hide“ diesem vorgeworfen, zu viel zu veröffentlichen. „Es sei nicht Aufgabe und auch nicht das Recht der Presse, Geheimnisse bekannt zu machen. ,In einer Demokratie muss die Entscheidung darüber letztlich bei der Regierung liegen.’“, zitiert Willi Winkler in der SZ am Samstag aus der Rezension. Um in den folgenden Absätzen sehr deutlich zu sagen, dass er Team Greenwald ist. „Das Geschäft von Zeitungen, von allen Medien war seit je neben dem üblichen Tritsch-Tratsch, auf den der Leser Anspruch hat, die Kritik der Mächtigen und im Zweifel auch der Verrat. (...) Ohne Verrat, ohne zum Verrat bereite Zeitungen taugt die beste Regierung nichts.“ +++

+++ Graydon Carter kann sich alles leisten. Sogar Gwyneth Paltrow mit Kim Yong Un vergleichen, schreibt Anne Phillipi auf der Medienseite der SZ von Samstag über den Chefredakteur von Vanity Fair, der angeblich zum Sommer in Rente gehen soll. +++

+++ Auf der Medienseite der FAZ vom Samstag erinnert Dieter Bartetzko an den am Donnerstag verstorbenen Karlheinz Böhm, der „stärkste gebrochene Mann des deutschen Films“. +++

+++ Jan-Michael Ihl hat für die sonntaz Emin Milli in Berlin-Neukölln besucht, wo dieser Meydan.tv produziert. Das videolastige Web-Magazin für Aserbaidschan muss in Berlin erstellt werden, weil in Millis Heimat alles andere als Pressefreiheit herrscht. „Bei kritischer Berichterstattung müsse man im besten Fall mit Verleumdungsklagen rechnen, oder die Polizei schiebe Drogen unter. Nichtregierungstreue Medien werden gegängelt und benachteiligt. (...). Für aserbaidschanische Journalisten wie Milli sind das die Gründe, warum sie seit Jahren versuchen, Exilmedien zu gründen.“ +++

+++ Mein erstes Wort, mein erster Zahn, meine ersten Gehversuche. Früher dokumentierten die Eltern das für einen in einem schönen Album. Doch Sebastian Leber ist schon zu alt, als dass seine Mutti ihm länger die Meilensteine seines Lebens festhalten könnte. Muss er das halt selbst erledigen. Zum Glück hat ihm der Tagesspiegel ein bisschen Platz eingeräumt, damit er in dessen Wochenendausgabe von seinem ersten eigenen Shitstorm berichten kann. +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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