Gegen die Wand

Gegen die Wand

Trägt allein die Lanzhaftigkeit von Markus Lanz die Schuld am Aus von Wetten, dass..?, oder ist das Format nicht mehr zeitgemäß? Wie muss eine Fernsehshow heute aussehen? Und gibt es an diesem Montagmorgen kein anderes Thema als diese ZDF-Show aus den frühen 80ern?

Vergessen Sie „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, vergessen Sie „Ich bin heute Abend zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...“, vergessen Sie „Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen“. Die deutsche Geschichte hat endlich wieder ein paar Sätze, die sich wirklich zu erinnern lohnen.

„Wir sehen uns wieder am 4. Oktober mit den letzten drei Ausgaben von Wetten, dass..?

"Der Rückgang der Zuschauerzahlen zeigt, dass sich die Sehgewohnheiten verändert haben und das Format an Anziehungskraft verloren hat.“

Und natürlich:

„Dann hätte ich das Ding auch gleich selbst an die Wand fahren können."

Sie stammen von Markus Lanz (Moderator, Sackhüpfer, professioneller im-Sessel-Vorbeuger), Norbert Himmler (ZDF-Programmdirektor) und Thomas Gottschalk (Moderator, Frisur-Ikone, Dampfplauderer) und sind, wenn auch mal leicht modifiziert, in so ziemlich jedem Artikel zu finden, die seit Samstagabend zu dem Thema schlechthin veröffentlicht wurden: Wetten, dass..? wird abgesetzt.

Wolfgang Lippert und die Rechtschreibreform hat das Format noch überstanden, Markus Lanz und die unendlichen Weiten des Internets waren dann aber einfach zu viel.

„Dass es so kommt, muss einen nicht verwundern, vielmehr, dass es diese Show so lange schon gibt“, schreibt Michael Hanfeld heute Morgen in der FAZ, und erklärt auch gleich, warum diese Sendung doch so lange durchgehalten hat, aber jetzt ein Ende findet: „Lanz ist ein Akrobat, der selbst Kunststücke zeigen will. Gottschalk war ein Gastgeber, der es verstand, andere leuchten zu lassen und ein Gespräch zwischen den Generationen herzustellen.“

Ganz dem Lanz in die Schuhe schieben will Hanfeld die Absetzung jedoch nicht. Auch der Zeitgeist sei schuld:

„Die Zeit der Familienfernsehabende ist vorbei. Und die Zeit der harmlosen Wetten auch. Gewettet wird heute nicht im Fernsehstudio auf kleine Kunststücke, sondern an den Finanzmärkten auf den Kollaps von Staaten. Topp, die Wette gilt!“

In der SZ schlägt Holger Gertz derweil den großen historischen Bogen und kommt von Dieter Thomas Heck über die Allianz-Werbung und Kirschlikör auf die „irgendwie guten Gefühle“, die wir alle so lange mit Wetten, dass..? verbunden hätten.

„Wetten, dass..? war die Wiederkehr des Immergleichen, es war ein Anker in der plötzlich verwirrenden Programmvielfalt. Dauernd sang Peter Maffay, dauernd erschien Iris Berben, Wetten, dass..? blieb, was es war.“

Manche, so Gertz weiter, würfen Thomas Gottschalk vor, dass er das Format durch seine Persönlichkeit erdrückt habe. Man könne aber auch argumentieren, dass nur Gottschalk es vermocht habe, das früh erstarrte Format doch so lange frisch zu halten.

Dass es dem ZDF an neuen Ideen für seine Sendung gefehlt habe, kritisieren auch Matthias Kalle und Joachim Huber im Tagesspiegel.

„Erstaunlich an Himmlers Begründung ist, dass das Aus für ,Wetten, dass..?' wie eine Naturkatastrophe hingestellt wird, gegen die die Fernsehmacher machtlos waren. Hat sich halt viel geändert. Ach. Und warum sollte das ausgerechnet ,Wetten, dass..?' am härtesten treffen? Vielleicht dann doch, weil seit Jahren sehr viele Menschen sehr viele Fehler gemacht haben? Zum Beispiel Norbert Himmler, sein Unterhaltungschef Oliver Fuchs, die Redaktion?“

Spartenkanäle, Streaming-Dienste, Youtube, für junge Nutzer sei das einfach attraktiver.

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Klaudia Wick meint in der Berliner Zeitung, man hätte die Sendung doch besser mit Gottschalks Abgang einstellen sollen. 

„Damals wollte das ZDF aber das Ende der Show nicht mit dem Unfall des Kandidaten Samuel Koch verbinden, sondern über das Ende selbst die Kontrolle behalten. Das Gegenteil trat ein: Mehr denn je wurde das Meckern über die Sendung zum eigentlichen Thema von ,Wetten, dass..?’.“

Zusammenfassend könnte man sagen: Nicht Markus Lanz war das Problem, sondern das aus der Zeit gefallene Format. Wäre da nicht das Interview mit Frank Elstner, noch mal FAZ, in dem dieser nicht müde wird, zu betonen:

„Ich sehe die Entscheidung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist wahrlich immer traurig, wenn etwas endet. Lachend sehen Sie mich, weil ich an eine Wiederbelebung von ,Wetten, dass..?’ glaube.“

„Ich glaube, dass die Grundidee der Sendung nach wie vor trägt.“

„Ich glaube, es ist wichtig, der Zeit gemäß zu inszenieren. Das ist auch im Theater so. Aber, wie gesagt: Die Grundidee trägt. Was man an ,Wetten, dass..?’ ändern muss? Das kann ich Ihnen verraten, wenn Sie mir sagen, wann der nächste Sendetermin für die neue Sendung ist.“

Damit bleiben an diesem Montagmorgen drei Fragen offen:

Erbarmt sich das ZDF (oder sonst ein Sender) Frank Elstner und den vielen auf ihn zeigenden blinkenden Pfeilen, die dieses Interview gleich mitliefert, und lässt den 71-Jährigen sein über 30 Jahre altes Showformat ins Jahr 2014 transferieren?  

Wie füllt Spiegel Online in Zukunft sonntags die Seite, wenn am Abend zuvor kein Wetten, dass..? mehr läuft? Sonntagmittag waren die ersten vier Plätze auf der Startseite mit entsprechenden Artikeln blockiert, wie DWDL hier dokumentiert hat. Derzeit (Uhrenvergleich: 9.49 Uhr) sind im Wetten, dass..?-Dossier zehn Texte zu zählen, die seit Verkündung der Absetzung auf der Seite erschienen sind.

(Darunter ein Storify mit der jegliche No-jokes-with-names-Regeln ignorierenden Überschrift „Markus’ Lanze ist gebrochen“ sowie ein Kommentar von Alexander Kühn, der sich sorgt, wie sich das Fehlen von Wetten, dass..?-Abenden auf die Sozialisation von Kindern auswirke, und der sich dann, wohl aus Ermangelung einer Antwort, in Bus-Metaphern flüchtet:

„Der Show-Bus ruckelte und holperte zwar schon, als ihn noch Thomas Gottschalk fuhr. Der hatte lange Zeit Vollgas gegeben, mit lauter Musik und offenem Fenster, saß am Ende jedoch so unkonzentriert hinterm Steuer wie ein Opa mit Hut. So richtig soff der Motor aber erst bei Markus Lanz ab, der von vornherein nie wusste, welchen Gang er einlegen muss, um geschmeidig durch den Abend zu cruisen.“)

Und wie sieht denn nun die Fernsehshow der Zukunft aus, nachdem wir nun endlich, endlich die 1980er Jahre hinter uns gelassen haben?

Mit prophetischer Weitsicht hat sich die SZ ausgerechnet in ihrer Samstagsausgabe dieser Frage schon angenommen und sich ein wenig im Ausland umgesehen. „Internationalisierung, Digitalisierung, Storytelling“ seien die drei Erfolgsfaktoren, erklärt dort Laurine Garaude, Chefin der Fernsehmesse in Cannes.

Konkret bedeutet das: Man muss die Sendung international vermarkten können, sie muss die Zuschauer über Angebote im Internet sieben Tage die Woche fesseln und es müssen persönliche Geschichten erzählt werden.

Wie richtig diese These ist, beweisen laut SZ Sendungen wie The Voice, The Great British Bake Off oder das Dschungelcamp.

Dass das allein nicht reicht, hat vor kurzem Pro Sieben mit seiner Millionärswahl gezeigt.  

Zum Fernsehpessimismus des Grimme-Preis-Freitags (Altpapier) kommt nun also noch die Post-Wetten, dass..?-Depression. Fernsehen hat auch schon mal mehr Spaß gemacht. Womit das Problem ganz gut zusammengefasst wäre.


Altpapierkorb

+++ Der Spiegel schreibt in dieser Woche über den Ärger beim Deutschlandfunk, von dem am Donnerstag schon im Handelsblatt zu lesen war. Einen „Brandbrief“ von einem „erfahrenen Mitarbeiter“ nennt der Spiegel den offenen Brief, der Deutschlandfunk-Intendat Willi Steul vorwirft, bei Bauinvestitionen derzeit in etwa ein so glückliches Händchen zu haben wie Klaus Wowereit. Nun muss sich Steul, dessen Abberufung mittlerweile laut Spiegel gefordert wird, auf zwei außerordentlichen Mitarbeiterversammlungen in Köln und Berlin den Vorwürfen stellen, die er selbst als Zeichen deutet, dass nicht jeder im Sender mit seinen Reformen zufrieden sei. Mit Recht, wie Michael Hanfeld schon am Samstag in der FAZ schrieb: „Da gibt es im Haus Gewinner und Verlierer, Aufstrebende und Frustrierte. Der Intendant Willi Steul ist seit langem dabei, Doppelstrukturen abzubauen, die Verwaltung zu reduzieren und die Programme komplementär zueinander zu stellen.“ +++

+++ Die Rheinische Post will Volontäre und neue Redakteure über eine Tochtergesellschaft anstellen, die sich nicht an den Tarif halten muss, schreibt Newsroom. +++

+++ Dmitri Kisseljow erfährt gerade, was es derzeit heißt, von Beruf Kreml-Propagandist und Chef der staatlichen Nachrichtenangentur Rossija Sewodnja zu sein. Dann bekommt man nämlich, dank EU-Sanktionen, kein Visum mehr für Norwegen. Auch wenn Kisseljow nur „ein wenig fischen und seinen Kindern die Mitternachtssonne, die Vogelfelsen und Seehunde zeigen“ wollte, wie Reinhard Wolff ihn in der taz zitiert. +++

+++ Ebenfalls für die taz rezensiert Sven Sakowitz die Doku „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie …“, die heute Abend im Ersten läuft und sich der Erziehungsmethode Schlagen widmet, die noch in den 50er und 60er Jahren populär war. „Vor allem diese Szenen sind schmerzhaft, die Schilderungen der Misshandlungen schockierend. Dennoch ist es schade, dass Fehse, abgesehen von ein paar Hinweisen auf die juristische Seite des Problems, ausschließlich aus Betroffenensicht erzählt und auf Expertenstatements verzichtet.“ +++

+++ Für „Die lieben Kollegen“ in der FAS hat Harald Staun in dieser Woche mal ins Spiegel-Blog geschaut und festgestellt, dass dort mittlerweile nur noch Lobhudeleien stattfinden. „Als der damalige ,Spiegel'- Chefredakteur Georg Mascolo im September 2012 das ,Spiegelblog' ins Leben rief, wollte er einen Ort etablieren, an dem sich die Redaktion des Magazins der Kritik der Leser stellt (...) Seit ein paar Monaten findet man dort fast nur noch Texte, in denen Redakteure ,ihre Lieblingsgeschichten aus der neuen Ausgabe’ vorstellen.“ Freundlicher als die Kollegen des Spiegels übereinander sprechen sonst wohl nur nordkoreanische Journalisten über Kim Jong-un. +++

+++ Und noch einmal FAS: Volker Weidermann hat den Antiquar Riewert Quedens Tode in seiner Neuköllner Wohnung besucht, wo dieser das wohl größte private Archiv  aus der APO-Zeit lagert, das nun nach Yale umzieht. +++

+++ Ebenfalls bereits am Sonntag erschien Hans Hoffs DWDL-Kolumne zum SWR-Film mit Daniela Katzenberger, der am Donnerstag in der ARD läuft „Es zeigt sehr schön, wie die so ticken im öffentlich-rechtlichen Provinzfernsehen. Sie schielen auf größtmögliche Aufregung, weil sie wissen, dass sie sonst nichts kriegen für solch ein Machwerk, weil sie sehr genau wissen, dass die Rolle der Katzenberger nach mimischen Kriterien auch für einen Holzstuhl geeignet gewesen wäre.“ Oder, in anderen Worten: „Es ist ein Katzenberger-Film mit der Katzenberger, die alles auf Katzenberger-Art macht.“ So etwas um 20.15 Uhr in der ARD zu senden sei ein Offenbarungseid, meint Hoff.

Noch mehr Fernsehschelte – oder vielleicht auch mal ein anderes Thema – gibt es morgen wieder an dieser Stelle.

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