Bob Dylans Mission hinter der Melodie

Bob Dylan 1963 mit Mundharmonika
epd-bild/akg-images / evangelisch.de (M)
"Wie viele Meere muss die weiße Taube überqueren, bevor sie im Sand schlafen kann?", fragt Bob Dylan in seiner späteren Hymne der Bürgerrechtsbewegung "Blowin‘ in the Wind".
Songs des Friedens
Bob Dylans Mission hinter der Melodie
Wussten Sie's? Bob Dylans Klassiker "Blowin' in the Wind" ist voll von Inspirationen aus dem Alten Testament. Die ganze Geschichte hinter dem Hit liefert Uwe Birnstein in dieser Ausgabe der "Songs des Friedens".

Bob Dylan schrieb seinen Klassiker "Blowin' in the Wind in einem New Yorker Café.

"Sie haben Augen zu sehen und sehen nicht; Ohren zu hören und hören nicht!" Einst ärgerte sich der israelische Prophet Ezechiel über die Starrköpfigkeit seiner Landsleute: Würden sie nur einmal ihre Sinne öffnen für die Ungerechtigkeiten, die geschehen! 2.600 Jahre später fand der junge jüdische Folk-Musiker Bob Dylan in Ezechiel einen biblischen Bruder im Geiste. Würden die Menschen in den USA wie auf der ganzen Welt doch endlich erkennen, dass Kriege sinnlos sind! Wie viele Bomben müssen denn noch fallen, wie viele Menschen müssen noch sterben, bis endlich Friede auf Erden ist? 

Der Folk-Musik gehörte Dylans ganze Leidenschaft. Um sie auszuleben, war er aus seiner Heimat in Minnesota nach New York gegangen. Hier wollte er Karriere machen. Am Nachmittag des 16. April 1962 saß er im Café The Commons mitten im Künstlerviertel Greenwich Village, packte seine Gitarre aus und begann einen Song zu schreiben. Eine Melodie dazu hatte er bereits im Kopf: "No More Auction Block for Me", ein Spiritual, einst ein Hoffnungslied US-amerikanischer Sklaven.

Dessen Melodiezeile verwendete er für seine Strophen, den Refrain komponierte er neu. Und für den Text knüpfte er an die Gedanken des Propheten Ezechiel an, der die Hartherzigkeit und Ignoranz der Menschen beklagt hatte. Dylans Text wirkt wie eine Erweiterung dazu: "Wie oft muss ein Mann emporblicken, bis er den Himmel sieht? Wie viele Ohren muss jemand haben, bevor er Menschen schreien hört?" Auch die biblische Geschichte der Arche Noah schwirrte Dylan offensichtlich im Kopf herum: Als die Sintflut zurückwich, schickte Noah eine Taube aus, um zu prüfen, ob die Wasser schon wieder Land freigaben. "Wie viele Meere muss die weiße Taube überqueren, bevor sie im Sand schlafen kann?", fragt Dylan. Der Refrain lässt die Antwort offen: "The answer my friend s blowin in the wind" -  "Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind." Eine weitere Stunde feilte er an jenem Tag im Café noch am neuen Song, dann war er fertig.

Kurz darauf spielte er ihn erstmals vor Publikum in einem kleinen Pub. Die Menschen waren begeistert und Dylan schwante, dass ihm da etwas ganz Großes gelungen sein könnte.

Schnell wurde der Song zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Bob Dylan wurde – gemeinsam mit der Sängerin Joan Baez – zum Star der Protestbewegung. 1963 sang er sogar beim "Marsch auf Washington", bei dem sich 100.000 Menschen trafen und die bewegende Rede des Baptistenpfarrers Martin Luther King hörten: "I have a dream", "Ich habe einen Traum".

Bob Dylan fühlte sich allerdings nicht wohl in der Rolle des Protestsängers. Bald spielte er lieber rockige Songs und stieß seine Fans damit vor den Kopf. Dessen ungeachtet beflügelt sein Friedens-Lied die Friedensbewegung bis heute, es wird auf Demonstrationen und an Lagerfeuern gesungen. 1987 predigte sogar Papst Johannes Paul II. vor hunderttausenden Jugendlichen über den Text. "Jemand von euch hat mir gesagt, dass die Antwort auf die Fragen eures Lebens im Winde wehe, sagte der Papst; "das stimmt! Aber nicht in dem Wind, der in Luftwirbeln alles verweht, sondern in dem Wind, der der Atem und die Stimme des Geistes ist, die uns ruft: ‚Komm!‘"

Dylans Lied "Blowin‘ in the Wind" ist eine musikalische Aufforderung dazu, sich mit dem Unfrieden auf der Welt nicht abzufinden, ihn vielmehr in Frage zu stellen. Dylan will nicht erklären, warum es Kriege gibt. Auch ist er kein Prophet wie Ezechiel, der seine Mitmenschen anklagt oder der gar vorhersagt, wann die Kriege aufhören. Dylan stellt einfach nur Fragen – aber die mit so eindringlichen Worten, dass die Hörerinnen und Hörer nicht umhinkönnen, ihre eigenen Antworten darauf zu suchen.

Mehr Hintergrundinfos in Uwe Birnsteins Buch "Hits from Heaven . Wie die Songs des Friedens unsere Hoffnung nähren", Verlag Neue Stadt 2022, ISBN 978-3-7346-1285-5.