Wie finanziert man religiöse Heimat?

Foto: Holger Wetjen
Ein Teil der lutherischen Gemeinde von Noisy-le-Grand mit dem neuen Pastor (3.v.l.), der im Juni beginnt.
Wie finanziert man religiöse Heimat?
Zu wenig Leute, zu wenig Geld. Die meisten evanglischen Kirchengemeinden in Frankreich kämpfen mit diesen Problemen. Sie sind deutlich in der Minderheit und müssen sich selbst finanzieren. Doch die lutherischen Gemeinden in der Pariser banlieue geben nicht auf.

"Il est là!" – "Der Herr ist da! Er macht, dass ich lebe! Mitten im Sturm!" Das erste, was beim Besuch der lutherischen Gemeinde von Noisy-le-Grand (zwölf Kilometer östlich von Paris) auffällt, ist, dass es hier fröhlich und laut durch den Raum schallt, auch wenn wie heute nur dreißig Personen im Gottesdienst sind. Das Lied Nr. 716 aus dem Gesangbuch Arc-en-ciel hat Kultstatus und versetzt die Gemeinde in eine euphorische Stimmung, wie das deutsche "Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt". Und es scheint, dass die Euphorie anhält, wenn die Gemeinde nach dem Gottesdienst auf der Kirchenvorstandssitzung darüber diskutiert, wie man die Finanzen sanieren und neue Mitglieder gewinnen soll.

Ab Juni dieses Jahres hat Noisy-le-Grand nach einem Jahr Vakanz wieder einen Pastor, den die Gemeinde sich mit der ebenfalls lutherischen Nachbargemeinde Le Perreux teilt. Viele der rund neunzig protestantischen Gemeinden im Raum Paris halten sich mit diesem "Pastoren-Splitting" finanziell über Wasser.

"Wir haben zu wenig Leute", benennt Kirchenvorstandsmitglied Elisabeth Feldmeyer das Problem. Und Wahlleiter Alain Hazoumé spitzt zu: "Von den zweiundzwanzig lutherischen Gemeinden im Raum Paris ist die Hälfte quasi ausgestorben." Den Lutheranern in Noisy-le-Grand geht es noch vergleichsweise gut, aber gerade darum wollen sie auch für die Zukunft vorsorgen. Jeden vierten Sonntag soll ein Jugendgottesdienst junge Menschen in die Gemeinde locken, mit einer aufgelockerten Zeremonie. Der Gemeindeälteste Etienne, traditionell lutherisch aufgewachsen, hält von einem solchen "cuculte" – einem "verhunzten" Gottesdienst, wie er polemisch sagt – gar nichts: "Das letzte Mal, als hier Jugendgottesdienst gefeiert wurde, habe ich nur fünf Jugendliche gezählt, und zwar die fünf vorn auf dem Podium, die den Gottesdienst gestalteten. Daran sieht man doch, dass der Jugendgottesdienst die Jungen nicht anzieht! Aber er verjagt die Älteren!" Gemeindesekretärin Estelle ist flexibler: "Man kann nicht von Evangelisierung reden und sich verschließen", verteidigt sie den Jugendgottesdienst. Und bevor man alte und neue Zeremonie gegeneinander ausspielt, vermittelt Alain Hazoumé: "Was für mich beim Gottesdienst zuerst zählt, ist: Habe ich heute Gott erfahren?"

Organist Alban Kraus spielt sonntags für einen Gotteslohn.

Die 44 Familien starke lutherische Gemeinde von Noisy-le-Grand wurde 1960 gegründet und feiert seit 1967 ihren Gottesdienst in einem Fertigbau am Stadtrand. Im Jahr 2000 kündigte die Stadt den Bau eines neuen Stadtteils an: Im Rahmen der Baumaßnahmen würde die Kirchengemeinde ihr jetziges Grundstück verlassen und zweihundert Meter westlich eine neue Kirche bauen können. Seitdem schlägt sich die Stadt aber mit den Bauplänen herum. Und die Kirchengemeinde hat – abwartend – nicht mehr in die Sanierung ihrer provisorischen Kapelle investiert, die darum mittlerweile einen etwas verwohnten Eindruck macht.

In Frankreich gibt es circa 1,5 Millionen Protestanten, das sind etwa 2,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die meisten leben in Elsass-Lothringen, im Raum Paris und Lyon sowie in den südlichen Départements Gard und Cévennes. Konfessionell stellen die Protestanten reformierten Bekenntnisses die Mehrheit dar, gefolgt von Lutheranern und Methodisten. Die Église Protestante Unie de France (Evangelisch-Unierte Kirche Frankreichs) hat etwa 400.000 Mitglieder. Sie ist Pfingsten 2013 aus der Union der Église Evangélique-Luthérienne de France (Evangelisch-Lutherische Kirche Frankreichs) und der Église Réformée de France (Reformierte Kirche Frankreichs) entstanden und besteht aus zehn Regionen mit 450 Ortskirchen, 500 Pastorinnen und Pastoren (ein Drittel Frauen) und 1.000 Gotteshäusern. Für die Pariser banlieue sind die Besucherzahlen der lutherischen Gemeinde von Noisy-le-Grand beispielhaft: Während zu den Fest- und Familiengottesdiensten 120 bis 150 Personen kommen, sind es an den übrigen Sonntagen um die vierzig.

Vermieten und verkaufen - so kommt Geld in die Gemeindekasse

Seit 1905 sind in Frankreich Staat und Kirche getrennt. Nach dem Trennungsgesetz formieren sich die Kirchen als private Kultusvereine, mit Satzung und Vorstand. Sie erhalten, wie andere religiöse Gemeinschaften, keine Subventionen vom Staat, sondern finanzieren sich ausschließlich aus den Beiträgen der zahlenden Mitglieder, aus Kollekten, Spenden und Vermächtnissen; eine Kirchensteuer gibt es in Frankreich nicht. Die Gemeindepastoren werden von der inspection ecclésiastique (entspricht einer Landeskirche) besoldet, wobei das Pastorengehalt auf der Grundlage der Durchschnittseinkünfte aus den Gemeinden von der Nationalsynode festgelegt wird.

Kulturvereinspräsident Denis Zandvliet und Kirchenvorstandspräsidentin Pierrette Lienhart helfen der Gemeinde als Laienprediger aus - zurzeit noch im provisorischen Fertigbau, der im Hintergrund zu sehen ist. Die alte Kapelle von 1967 soll bald durch einen größeren Neubau ersetzt werden.

Um einen eigenen Pastor bezahlen zu können, muss eine Kirchengemeinde der inspection ecclésiastique einen so genannten "cible" ("Zielbetrag") entrichten. Dieser speist sich in der lutherischen Gemeinde von Noisy-le-Grand aus den Spenden der Gottesdienstbesucher und aus den Einkünften der "kermesse": Das deutsche Lehnwort (im Französischen seit 1391 belegt) hat seine Bedeutung erweitert und bezeichnet hier ein jährliches Sommerfest, wie es Noisy-le-Grand zusammen mit der Nachbargemeinde von Le Perreux veranstaltet. Im Rahmen ihrer Teilfusion halten die beiden Gemeinden auch eine gemeinsame Kirchenvorstandssitzung ab, wobei die Größe der jeweiligen Vorstände konstant bei sechs und acht Mitgliedern bleibt. Bis zur Ankunft des neuen Pastors im Juni predigen in Noisy-le-Grand Kirchenvorstandspräsidentin Pierrette Lienhart und Kulturvereinspräsident Denis Zandvliet als ehrenamtliche Laienprediger.

Französische protestantischen Gemeinden sanieren ihre Finanzen oft durch den Verkauf kirchlicher Grundstücke: Im Rahmen der städtischen Baumaßnahme, die den Umzug von der jetzigen Kapelle in ein neues Gotteshaus mit einschließt, wird die Kirchengemeinde von Noisy-le-Grand die Hälfte ihres jetzigen Grundstücks an die Stadt verkaufen. Im Gegenzug baut die Stadt die Grundmauern der neu zu errichtenden Kirche. Im Nachbarort Le Perreux entspricht die sanierungsbedürftige Kirche nicht mehr den heutigen Sicherheitsvorschriften. Auch dort wird die Kirchengemeinde ihr Grundstück verkaufen und die neue Kirche auf ein kleineres Grundstück setzen lassen. Die Pariser Gemeinde von Les Billettes wiederum gleicht mit der Vermietung von Räumen an Konzertveranstalter ihren Haushalt aus.

Man lässt sich also etwas einfallen. Nicht zu vernachlässigen sind im Übrigen für das Gemeinde-Budget die Vermächtnisse: Immer wieder kommt es vor, dass ein älteres Gemeindemitglied beim Verfassen seines Testaments seiner Ortskirche einen Scheck über eine mehrstellige Summe ausstellt oder ihr seine Wohnung vermacht. Um dennoch auch junge Mitglieder zu gewinnen, lanciert die Gemeinde von Noisy-le-Grand – neben dem rege diskutierten Jugendgottesdienst – auf Facebook eine so genannte Kommunikations-Aktion und lässt die Jugendgruppe in der Kapelle mit Hausmusik auftreten. Vor allem ist es aber eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda, die neue Mitglieder in die Kirche einlädt.