Christiane Hörbiger: "Ich kenne keine Eitelkeit mehr"

Foto: ARD Degeto/Svenja von Schultzend
Christiane Hörbiger als Obdachlose in "Auf der Straße".
Christiane Hörbiger: "Ich kenne keine Eitelkeit mehr"
Sie gehört zu den großen Diven des deutschsprachigen Films: Christiane Hörbiger. Die Zeiten, in denen die Schauspielerin auf die Rolle als vornehme Dame mit Perlenkette abonniert war, sind vorbei – jetzt spielt sie lieber Charakterrollen in Problemfilmen über gesellschaftlich relevante Themen. In ihrem neuen TV-Drama "Auf der Straße" (Montag, 12.10., 20.15 Uhr, ARD) geht es um Armut und Obdachlosigkeit. Einen Tag vor ihrem 77. Geburtstag verkörpert Hörbiger eine Frau aus guten Verhältnissen, die nach dem Tod ihres Mannes plötzlich mittellos ist und schließlich auf der Straße leben muss.

Frau Hörbiger, man kennt Sie als elegante Filmdiva, die auf dem Roten Teppich eine gute Figur macht. Wie hat es sich angefühlt, eine Obdachlose zu spielen?

Christiane Hörbiger: Ich bin Schauspielerin, das muss ich einfach können. Zum Glück hatte ich ein wunderbares Drehbuch und ein Team, dem ich voll und ganz vertrauen konnte, das macht bei einer solch besonderen Rolle natürlich einen großen Unterschied aus. Ich hatte mit dem Produzenten, dem Regisseur und dem Autor schon einige gemeinsame Arbeiten gemacht, und so war es eine einzige Freude – auch wenn das Wort Freude vielleicht nicht ganz zu dem Thema passt.

Mussten Sie überhaupt keine Eitelkeit überwinden, um in die Rolle einer Frau zu schlüpfen, die buchstäblich in der Gosse landet?

Hörbiger: Nein, ich kenne gar keine Eitelkeit mehr. Ich habe schon mit 30 Jahren am Theater Rollen gespielt, wo mir jede Eitelkeit ausgetrieben wurde. Ich suche ja mit meinen Filmen auch keinen Ehemann, indem ich schön ausschauen will (lacht). Und diesmal spiele ich eine Frau, der es sehr schlecht geht, die aus ihrem normalen Leben herausgefallen ist, aus ihrem sozialen Stand tief abgerutscht ist. Das geht natürlich nicht mit schönem Makeup und perfekter Frisur.

Wie war Ihre Vorbereitung auf die Rolle?

Hörbiger: Ich bereite mich eigentlich auf jede Rolle vor, indem ich Menschen beobachte. Wenn man sich zum Beispiel in eine Hotelhalle setzt und die Leute anschaut, die hinein- und hinausgehen, lernt man sehr viel darüber, wie Menschen sich verhalten. Für diesen Film habe ich natürlich besonders auf der Straße genau hingeguckt, wie die Bettler oder die Obdachlosen wirklich aussehen, wie sie angezogen sind. Haben sie stumpfe Gesichter, haben sie traurige Gesichter, schämen sie sich und schauen sie nur auf den Boden?

Kam daher auch die Inspiration für die Szene, in der Ihre Figur verwahrlost, schimpfend und ins Selbstgespräch vertieft, durch die Stadt irrt?

Hörbiger: Es gibt sicherlich sehr viele Menschen, die mit sich selber reden. Alte Frauen, die nicht einmal arm oder obdachlos sein müssen, die sich im Kaffeehaus allein mit sich unterhalten. Kinder stoßen sich dann mit dem Ellenbogen an und sagen: "Die spinnt, die Alte." Dabei ist es meistens eine tiefe Einsamkeit. Gerade bei der Figur, die ich spiele, ist es aber natürlich der Alkohol. Ich trinke selber keinen Alkohol, nur alkoholfreies Bier, aber ich hatte mich für eine Rolle als Trinkerin im Film "Wie ein Licht in der Nacht" mit dem Thema befasst.

"Ich kann nicht geschminkt zwischen echten Obdachlosen sitzen und herausstechen"

Sind die Komparsen, die man in "Auf der Straße" im Bild sieht, echte Obdachlose?

Hörbiger: Ja, es waren wirklich Obdachlose, die bei uns mitgespielt haben. Unter diesen Umständen musste ich natürlich versuchen, besonders authentisch zu sein. Ich kann nicht als Schauspielerin geschminkt zwischen diesen echten Obdachlosen sitzen und herausstechen, das wäre nur peinlich. Ich war nicht geschminkt, wir Schauspieler haben versucht, uns optisch anzugleichen. Diese Menschen haben ja nicht einmal das Wasser, um sich die Zähne zu putzen, und ihnen fallen die Zähne aus, weil sie so ungepflegt sind.

Hat sich Ihre Einstellung Menschen gegenüber, die auf der Straße leben, durch den Film verändert?

Hörbiger: Ja, das glaube ich schon. Ich glaube, dass ich da viel toleranter geworden bin. Ich meine, ich war nie intolerant, aber man ist ja versucht zu sagen: Die sind selber schuld, die haben zu wenig aufgepasst, haben zu viel gefeiert oder konnten mit dem Geld nicht umgehen. Und diese Gedanken gewöhnt man sich vollkommen ab, wenn man Obdachlose kennenlernt und mit ihnen zusammenarbeitet. Sie sind nicht selber schuld, es sind meistens die Umstände, die ihnen im Leben zugestoßen sind.

Geben Sie Obdachlosen etwas, wenn sie um Geld betteln?

Hörbiger: Ja. Ich habe zwei oder drei Kunden, bei denen ich zwar genau weiß, dass sie mir nur vorspielen, sie hätten keine Beine mehr – dabei stehen sie am Abend auf zwei gesunden Beinen auf und gehen weg. Aber ich gebe ihnen trotzdem was.

"Es ist interessanter, Themen aufzugreifen, die für die Allgemeinheit wichtig sind"

In vielen Ihrer Filme ging es zuletzt um Themen von weitreichender Bedeutung, Stoffe wie Alzheimerdemenz, Alkoholsucht oder nun Armut und Verschuldung. Was bewegt Sie dazu, solche sperrigen Stoffe zu wählen?

Hörbiger: Erstens: Ich suche sie mir gar nicht aus, sie werden mir angeboten. Zweitens: Es ist vielleicht nicht so publikumswirksam, aber interessanter, Themen aufzugreifen, die für die Allgemeinheit wichtig sind. Leichte Rollen habe ich zwar auch immer gerne gespielt, und die Leute mochten es wahnsinnig gerne. Gerade neulich ist der Film "Oma wider Willen" mit sensationellen Quoten wiederholt worden. Aber es ist wichtiger, wenn man in meinem Alter ist, etwas zu hinterlassen – und das sind diese Stoffe, die brennende soziale Probleme aufgreifen.

Sind diese Filme auch schauspielerisch eine größere Herausforderung für Sie?

Hörbiger: Natürlich. Es ist immer wieder eine Herausforderung, ob man es schafft, man muss sich sehr zusammenreißen, um keine Panik zu bekommen. Aber bislang ist es mir noch immer geglückt. Und wenn ich mal das Gefühl habe, dass ich es nicht mehr schaffe, dann höre ich auf. Hoffentlich ist das noch lange nicht Fall.

Denken Sie denn manchmal an ein Karriereende?

Hörbiger: Nein. Solange ich spielen kann, solange ich gesund bin und man mich fragt, spiele ich.