Symbolbild für das Versagen der Flüchtlingspolitik

Symbolbild für das Versagen der Flüchtlingspolitik
Medien zeigen bewegendes Foto von totem Jungen
Ein Bild wird zum Symbol der Krise: Ein toter Flüchtlingsjunge, drei Jahre alt, ertrunken auf der Flucht nach Europa, angespült am Strand. Viele Medien zeigen das Foto, andere entscheiden sich bewusst dagegen.

Das bewegende Foto eines toten Flüchtlingsjungen an einem türkischen Strand geht um die Welt. Die "Bild"-Zeitung räumte für das Foto ihre letzte Seite frei, verbunden mit einem Appell, angesichts des Leids der Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr wegzuschauen. Der britische "Guardian" zeigte auf seiner Titelseite die Szene, wie die Leiche von einem Polizisten davongetragen wird. Der Medienethiker Alexander Filipovic sieht die Veröffentlichung der Fotos kritisch. Auch den Deutschen Presserat erreichten bereits Beschwerden.

"Die fortgespülte Menschlichkeit"

Bei Twitter wurden die Bilder unter dem Hashtag #KiyiyaVuranInsanlik (türkisch für "Die fortgespülte Menschlichkeit") verbreitet. Der syrische Junge war am Mittwoch tot an einem Strand nahe der türkischen Touristenhochburg Bodrum angespült worden. Der Junge war Medienberichten zufolge drei Jahre alt und starb bei dem Versuch, mit seiner Familie von der türkischen Küste über die Ägäis nach Griechenland zu flüchten. Das Boot kenterte, die türkische Küstenwache barg insgesamt zwölf tote Flüchtlinge. 15 Menschen konnten sich an Land retten.

"Bilder wie dieses sind schändlich alltäglich geworden", schrieb die "Bild"-Zeitung. "Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in dieser Flüchtlingskrise." Das Foto sei eine Botschaft an die ganze Welt, vereint dafür zu sorgen, dass kein Kind mehr auf der Flucht sterbe.

"Muss man Ihnen dieses Bild zumuten, damit unmenschliche Aspekte der Asylpolitik in Ihren persönlichen Diskurs rücken?" (Stefan Plöchinger, Süddeutsche.de)

Andere Medien entschieden, die Bilder nicht zu zeigen. "Muss man Ihnen als Leserin oder Leser das Bild eines toten Kindes zum Frühstück zumuten, damit unmenschliche Aspekte der Asylpolitik in Ihren persönlichen Diskurs rücken?", schrieb der Chefredakteur von "Süddeutsche.de", Stefan Plöchinger. "Stern.de" kommentierte hingegen, der Junge habe ein Recht darauf, noch einmal gesehen zu werden. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" (Online-Ausgabe) zeigte einen Ausschnitt des Bildes, auf dem der Junge nicht zu erkennen war und verlinkte auf das Originalfoto.

Der Medienethiker Alexander Filipovic sagte, er würde dazu tendieren, das Bild nicht zu zeigen. "Es ist sicherlich ein Bild, das alles Potenzial hat, zu einem Symbolfoto für das Versagen der internationalen Flüchtlingspolitik zu werden", sagte Filipovic, der an der Münchner Hochschule für Philosophie lehrt, dem Evangelischen Pressedienst. "Den Leuten dieses Bild in der Zeitung zu präsentieren, wo man eben nicht wegschauen kann, das finde ich zu viel", sagte er.

Redaktionen sollten die Fotos nach Ansicht von Filipovic eher beschreiben als zeigen. "Sie können über die Symbolkraft dieses Bildes berichten und auch darauf hinweisen, wie sie dieses Bild behandeln und warum", sagte der Medienethiker. Wer das Bild dann sehen wolle, könne das immer noch in den sozialen Netzwerken tun.

Bereits zehn Beschwerden beim Presserat

Der Deutsche Presserat habe bis zum Donnerstagnachmittag bereits zehn Beschwerden zu der Veröffentlichung des Fotos in der "Bild"-Zeitung erhalten, sagte eine Sprecherin dem epd. Zudem lägen zwei Beschwerden über die Verwendung des Bildes in anderen Medien vor. Im Kern gehe es um die Ziffern 1 (Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. Der Presserat rechnet mit weiteren Beschwerden.

Der Presserat hatte nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien 2004 eine Missbilligung gegen ein Nachrichtenmagazin ausgesprochen, das 17 aufgedunsene, nackte Leichen an einem Strand gezeigt hatte. Die Beschwerdekammer stufte zwar das Zeigen der Leichen nach dieser Katastrophe als ethisch vertretbar ein. Auf dem vorliegenden Foto seien jedoch Details erkennbar gewesen, die die Menschenwürde der Toten missachteten, hieß es damals.