TV-Tipp des Tages: "Tatort: Niedere Instinkte"

TV-Tipp des Tages: "Tatort: Niedere Instinkte"
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Niedere Instinkte", 26. April, 20.15 Uhr im Ersten
Ein Ehepaar erfüllt sich seinen Kinderwunsch, indem sich der Mann eines Sonntags kurzerhand in einer Unterführung die kleine Magdalena schnappt. Im Keller des Eigenheims hat das Paar ein raffiniert getarntes Versteck eingerichtet.

Als das Leipziger "Tatort"-Duo Saalfeld/Keppler 2008 mit "Todesstrafe" seinen ersten Fall löste, hatte es einen sehenswerten Einstand. Der intuitive, aber sozial unverträgliche Analytiker war damals noch eine originelle Figur; und dass das Team ein Ex-Ehepaar war, gab den Geschichten zusätzliche Würze. Es gelang dem MDR jedoch nicht, das hohe Niveau zu halten. Einige Filme waren richtig gut und bleiben in Erinnerung, etwa ein gemeinsam mit dem WDR produzierter Doppel-"Tatort" ("Kinderland"/"Ihr Kinderlein kommet", 2012). Herausragend waren auch die Ermittlungen Eva Saalfelds gegen ihren totgeglaubten Vater, "Nasse Sachen" (2011). "Absturz" mit Matthias Brandt (2010) oder "Schwarzer Afghane" (2013) waren ebenfalls bemerkenswert. Auf der anderen Seite gab es aber regelmäßig seltsam kraftlose Episoden wie zuletzt "Blutschuld". Ohnehin lässt sich nach zwanzig Filmen das Fazit ziehen, dass der "Tatort" aus Leipzig immer dann am besten war, wenn Keppler die zentrale Rolle einnahm. Das hat mir der Figur zu tun, aber natürlich auch mit Martin Wuttke; und deshalb ist auch Fall Nummer 21 sehenswert.

"Niedere Instinkte" ist das erste Drehbuch von Sascha Arango, dem Schöpfer der früheren Sat.1-Krimireihe "Blond: Eva Blond!", für das Duo aus Leipzig. Der zweifache Grimme-Preisträger ("Der letzte Kosmonaut", "Zu treuen Händen") ist bekannt für seine oftmals schrägen Geschichten, die bei entsprechender Umsetzung regelmäßig zu den Höhepunkten des jeweiligen Fernsehjahres zählen (2014 zum Beispiel "Besondere Schwere der Schuld"). Der handlungsreiche Abschieds-"Tatort" aus Leipzig fällt schon mit der ersten Einstellung aus dem Rahmen: weil Keppler durch seinen Kühlschrank hindurch direkt in die Kamera spricht. Dieser Bruch mit den Konventionen des Sonntagskrimis im "Ersten" ist ein angemessener Auftakt für einen Fall, der im Grunde eine ganz normale Kriminalgeschichte erzählt, aber gerade auch dank der Umsetzung durch Claudia Garde ständig für Überraschungen gut ist. Handlungskern ist die Entführung eines kleinen Mädchens: Ein Ehepaar erfüllt sich seinen Kinderwunsch, indem sich der Mann eines Sonntags kurzerhand in einer Unterführung die kleine Magdalena schnappt. Im Keller des Eigenheims hat das Paar ein raffiniert getarntes Versteck eingerichtet.

Mehrfach zeigt die Kamera (Carsten Thiele) das Geschehen aus extremer Draufsicht. Man könnte auch sagen: aus gottgleicher Perspektive, denn das Mädchen hat tiefgläubige Eltern (Picco von Groote, Alexander Scheer), die einer sektiererischen christlichen Gruppierung angehören und ein sehr seltsames Verhalten an den Tag legen. Gleiches gilt aber auch für die Entführer. Die Besetzung mit Susanne Wolff und dem Dänen Jens Albinus war eine ausgezeichnete Idee, denn die beiden hervorragenden Bühnenschauspieler verleihen diesem merkwürdigen Paar eine gruselige Abgründigkeit. Andererseits konterkariert Arango die Bitterkeit des Falls immer wieder mit verblüffend witzigen Momenten. Auch diese Tonart gibt der Auftakt vor: Keppler steht in seiner Wohnung bis zu den Knien im Wasser, weil die Waschmaschine undicht ist. Apropos Tonart: Die Musik (Colin Towns) ist ebenfalls ungewöhnlich, passt aber perfekt zur Geschichte.

Ein Großteil der Ermittlungen entspricht dem üblichen Krimigeschehen, doch selbst in diesen Momenten suchen Arango und Garde nach Alternativen; und sei es, dass Saalfeld und Keppler zwischendurch ihre Wünsche in Form von kurzen Tagträumen ausleben dürfen. Dass Leipzig unter extremer hochsommerlicher Hitze leidet, ist ein weiterer markantes Merkmal dieses Films. Außerdem hat die emotionale Intensität des Falls zur Folge, dass das Duo sehr dünnhäutig wird und auf diese Weise merkt, wie viel es noch füreinander empfindet. "Nichts geschieht ohne Grund", sagt Keppler zwischendurch Richtung Publikum, und so dürfen die beiden Duo nach einem ziemlich grimmigen Ende der Krimihandlung endlich jenen Gefühlen freien Lauf lassen, die schon 2008 in der Luft lagen.