Kuscheltheologie, päpstlicher Peronismus und die bösen Rothschilds

Kuscheltheologie, päpstlicher Peronismus und die bösen Rothschilds
Heute auf der Agenda: christliche Exegeten und Apologeten, die Sätze aus dem biblischen Zusammenhang reißen, um etwas zu belegen, was diese Sätze gar nicht besagen. Außerdem: Was Xavier Naidoo und der Papst gemeinsam haben.

Das war natürlich ein Fehler. Wie kam ich bloß auf die Idee, ausgerechnet bei einem „Medienwatchblog“ mitzumachen? Ich beobachte doch keine Medien. Bin ohne Fernsehen aufgewachsen und sehe bis heute nie fern, lese keine Zeitungen und – außer dem unverzichtbaren Economist   – keine Zeitschriften, schon gar nicht den Spiegel, und versuche mich von dem fernzuhalten, was mein Kollege Eckhard Fuhr einmal den „Tanzboden des Irrsinns“ nannte, den asozialen Medien Facebook, Twitter und Co.; obwohl ich selbst in all diesen Medien präsent bin, sein muss.

Ohne mich ansonsten mit dem Schwan von Avon vergleichen zu wollen, fühle ich nämlich doch mit William Shakespeares Klage aus Sonnet 111

 O! for my sake do you with Fortune chide,
The guilty goddess of my harmful deeds,
That did not better for my life provide
Than public means which public manners breeds.
Thence comes it that my name receives a brand,
And almost thence my nature is subdued
To what it works in, like the dyer's hand ...

Von Stefan George so übersetzt

„O zeigt euch meinethalb aufs glück ergrimmt, / Die schuldige gottheit meiner leidensfahrt, / Die für mein leben bessres nicht bestimmt / Als volks-erwerb der nachzieht volkes art. / Daher empfängt mein name einen brand, / Daher wird all mein wesen fast bedräut / Durch meine arbeit - wie des färbers hand.“

Anders gesagt: Es ist schlimm genug, Journalist zu sein. Aber Medienjournalist! Von dem Kakao muss man nicht auch noch trinken. 

Nun gut, aber jetzt zur Sache: Mich hat bei der Lektüre der bisherigen Altpapier-Blogeinträge ein wenig gewundert, dass meist ein Subjekt fehlt: ein Ich. Was ja bei einer journalistischen Form, die zum Genre des Tagebuchs gehört (Blog = Weblog = Internet-Tagebuch), doch verwundert. Nicht nur fehlt das Ich formal, es fehlt auch inhaltlich: Wo ist beim Altpapier das spezifisch Evangelische oder wenigstens Christliche? Also die Auseinandersetzung mit den Medien vom christlichen Standpunkt und die Auseinandersetzung mit christlichen Medien oder mit christlichen Themen in den Medien. Da ich das nicht gefunden habe, muss ich es wohl nachholen. 

Da gibt es zum Beispiel bei evangelisch.de das Blog „Stilvoll glauben“ von Heiko Kuschel. Der neueste Beitrag lautet: „Was hilft gegen den Terrorismus? Möglicherweise nur eines: unser eigener Glaube.“ 

Ich will mich über das einschränkende Adjektiv „möglicherweise“ nicht lustig machen. Eher hat mich folgende Passage geärgert:

„Gegen die Terroranschläge gibt es leider keine wirklichen absolut sicheren Rezepte. Denn umfassende Kontrollen mit Maschinengewehren und Armee allüberall können nicht unser Ziel sein. Dann hätten auch wieder die Terroristen gewonnen. Dann hätten sie unsere offene, freie, lebensfrohe Welt in eine Welt der Angst, der Kontrolle und der gegenseitigen Kontrolle verwandelt.“ 

Das ist, mit Verlaub, gefährlicher Blödsinn. Natürlich gibt es keine „wirklich absolut sicheren Rezepte“ gegen Terroranschläge wie in Paris. Aber unterhalb der Ebene von „umfassenden Kontrollen mit Maschinengewehren und Armee allüberall“ gibt es einiges, was man machen kann. Die Einlasskontrollen vor dem Stade de France haben verhindert, dass Selbstmordattentäter dort ein Blutbad anrichteten. Sicherheitsposten vor dem Bataclan hätten auch dort Leben retten können. In Israel gibt es vor allen Hotels, Restaurants und Nachtclubs, an öffentlichen Badestränden, in Shoppingmalls und Kinos Sicherheitsleute mit Maschinengewehren, und das Ergebnis ist nicht „wirklich absolute Sicherheit“, aber erheblich mehr Sicherheit als zurzeit in Europa. Und Israel ist bestimmt keine „Welt der Angst, der Kontrolle und der gegenseitigen Kontrolle“, sondern im Gegenteil eine der lebensfrohesten Gesellschaften der Welt; dort haben die Terroristen nicht „gewonnen“, wie Kuschel behauptet, sondern sind im Gegenteil besiegt worden. Dass jetzt einige von ihnen mit Messern auf Juden losgehen, zeigt nur, wie gut die Abwehr gegen Maschinengewehre und Sprengstoff funktioniert.

Aber solche unüberlegten Sätze sind nicht spezifisch evangelisch; eher spezifisch deutsch, wo man seine frühere Begeisterung für alles Militärische, ihrerseits eine Überkompensation für Jahrhunderte deutscher Machtlosigkeit, nun wieder durch die Begeisterung für die Machtlosigkeit überkompensiert – die deutsche Unfähigkeit zu Maß und Mitte. Spezifisch evangelisch oder doch christlich erscheint mir aber folgende Kuschel-Passage: „Eigentlich müssen wir“ – statt in Arbeitsplätze für Sicherheitsleute zu investieren – „nur unseren christlichen Glauben wirklich ernst nehmen. Denn wohl kein Satz findet sich so oft in unserer Bibel wie dieser: Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht. Wer seinen Glauben ernst nimmt, der weiß: Es kann mich nichts aus Gottes Hand reißen. Jesus hatte keine Furcht. Er ist auf alle Menschen zugegangen, auch auf seine Feinde.“

Nun gut, richtig gut bekommen ist ihm das nicht, könnte man einwenden, erstens, und zweitens darauf hinweisen, dass Martin Luther Anhänger eines ziemlich robusten Staatsverständnisses war, wenn es etwa gegen die rebellischen Bauern oder die verstockten Juden ging, wozu er eigens eine Theorie der „zwei Reiche“ schuf; in dem einen Reich jedenfalls hätte er gegen Taschenkontrollen vor dem Supermarkt nichts einzuwenden, glaube ich. 

Was mich aber drittens ärgert ist die – ich möchte sagen typisch christliche – Art, wie hier ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wird. Ob es stimmt, dass sich kein Satz so oft in der Bibel findet wie „Fürchte dich nicht!“ – das weiß ich nicht. Aber die Stelle, an der ihn Jesus benutzt, lautet wie folgt (Markus 5:35f): 

„Da er noch also redete, kamen etliche vom Gesinde des Obersten der Schule und sprachen: Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du weiter den Meister? Jesus aber hörte alsbald die Rede, die da gesagt ward, und sprach zu dem Obersten der Schule: Fürchte dich nicht, glaube nur!“ 

Die Tochter des Synagogenvorstehers wird nämlich durch den Glauben ihres Vaters gerettet und steht von den Toten wieder auf. Wir haben es hier mit einer Wunderheilung zu tun. Und nicht mit einer allgemeinen Aufforderung, sich nicht zu fürchten und auf alle Menschen zuzugehen usw. usf. 

Ist es also typisch für alle christlichen Exegeten und Apologeten, denen ich je begegnet bin (und das sind viele, darunter auch liebe Freunde), dass sie Sätze aus dem biblischen Zusammenhang reißen, um etwas zu belegen, was diese Sätze gar nicht besagen, so ist eine andere, wenn auch verwandte Haltung ebenso typisch, die etwa im Blog „Kreuz und Queer“ (höhöhö) zum Ausdruck kommt. In einem Beitrag von Katharina Payk, in dem sie evangelikale Christen mit Hunden vergleicht, die „Duftmarken setzen“, aber diese Geschmacklosigkeit soll nur nebenbei erwähnt werden, kritisiert sie das EKD-Ratsmitglied Michael Diener, ebenfalls so ein Evangelikalen-Hinterbeinheber, wie folgt: 

„Auch wenn Diener als ein eher gemäßigter Vertreter der Evangelikalen gilt, lehnt er auf jeden Fall ein Zusammenwohnen (von Schwulen, Lesben oder Transgender-Paaren, A.P.)  im Pfarrhaus sowie Segnungen gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaften ab. Homosexualität sei nicht zu bejahen – dies verbiete ihm der biblische Befund. Dabei beruft er sich auf ein überholtes Modell der Bibelinterpretation, das die – obgleich bekannt widersprüchlichen – Aussagen der biblischen Bücher wortwörtlich nimmt und weder historisch-kritisch analysiert noch narratologisch rahmt.“

Genau. Einerseits nimmt man gern irgendein Bibelwort aus dem Kontext, um – im Fall von Heiko Kuschel – gegen Sicherheitsmaßnahmen vor Discos zu polemisieren. Berufen sich aber die falschen Leute auf die Bibel, so heißt es, sie bemühten ein „überholtes Modell der Bibelinterpretation“, das die Heilige Schrift „wortwörtlich nimmt und weder historisch-kritisch analysiert noch narratologisch rahmt.“ Nun weiß ich nicht, wie man durch noch so angestrengte narratologische Rahmung und historisch-kritische Analyse um den Umstand herumkommt, dass die Bibel von vorn bis hinten (Entschuldigung) ein homophobes Machwerk ist, was nicht verwundert, da sie einer homophoben Gesellschaft entsprang und deren Normen verstärken sollte. Mir ist es ein Rätsel, weshalb schwule Christen das nicht einfach zugeben können und stattdessen historisch-kritische Analyse und narratologische Rahmung bemühen, um diesen einfachen – und schon zu Jesu Zeiten für die heidnischen Griechen skandalösen – Tatbestand zu leugnen. Die in der Bibel gepredigte Moral hat viel mehr mit dem zu tun, was heute in strengen muslimischen Gesellschaften praktiziert wird, als mit unserer westlichen Amoral. „Was würde Jesus dazu sagen?“ Schon möglich, dass er sich vom Sündenpfuhl Paris entsetzt abwenden und seine baldige Vernichtung durch den Zorn des Herrn der Heerscharen ankündigen würde. (Und was der gestrenge Herr Luther zu Schwulenpaaren im Pfarrhaus meinen würde, will ich mir gar nicht erst ausmalen. Müsste man erst narratologisch und historisch-kritisch rahmen, klar.)

[+++] Natürlich sind nicht evangelische Christen die einzigen, die narratologisch rahmen, sprich Wörter in ihr Gegenteil verkehren müssen, um – Innenminister Thomas de Maizière lässt grüßen – das Publikum nicht zu beunruhigen. Katholiken geht es genau so, insbesondere mit ihren Päpsten. So bemüht sich etwa Pater Bernd Hagenkord beim Kölner „Domradio“ redlich, die Aussage des gegenwärtigen Amtsinhabers zu den Pariser Anschlägen so lange zu zerreden, bis nichts von ihnen übrig bleibt. Franziskus hatte nämlich auf Anfrage bestätigt, die Mordtaten von Paris gehörten zu dem, was er den „Dritten Weltkrieg“ nennt, der „stückweise“ geführt werde. 

Manche voreiligen Kulturkrieger freuten sich schon, der Papst meine damit den Dschihad des radikalen Islam gegen den Westen. Weit gefehlt. Wie Jörg Bremer in der FAZ berichtete, meint der Papst etwas ganz Anderes: Gottes Plan für den Frieden auf der Welt kollidiere immer wieder mit dem Bösen. Es gebe „eine Art dritten Weltkrieg, der stückweise geführt wird“, sagte Franziskus nämlich in Sarajewo im Juni dieses Jahres. Auch bei der „globalen Kommunikation nimmt man ein Klima des Krieges wahr“, sagte der Papst, gäbe es doch jene, die „den Zusammenstoß zwischen verschiedenen Kulturen und Zivilisationen suchen und die, die mit den Kriegen spekulieren, um Waffen zu verkaufen.“ 

Mhm. Wer „jene“ sind, die den „Zusammenstoß der Kulturen suchen“, um Geschäfte zu machen, hat der peronistische Papst kürzlich in einem Interview klargestellt, als er - auf den „internationalen Imperialismus des Geldes“ verwies, den sein Vorgänger Pius XI. in der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ gegeißelt habe; Pius habe nicht übertrieben, manche seiner Aussagen hätten sich erst jetzt bewahrheitet. Dazu muss man wissen, dass Pius in „Quadragesimo Anno“ ausdrücklich den faschistischen Staat Mussolinis lobte; und dass die von Pius beschriebene angebliche „despotische Wirtschaftsdiktatur ... derjenigen, die den Kredit und das Verleihen von Geld kontrollieren“ – die „Zinsknechtschaft“, wie es die Nazis kürzer und knapper nannten – damals wie heute ein Codewort für das internationale Judentum war, dem auch damals vorgeworfen wurde, die Völker im eigenen Interesse gegeneinander zu hetzen. 

Es hat schon ein – wie sagt man? – Geschmäckle, wenn der Papst ausgerechnet in Sarajewo, einer mehrheitlich muslimischen Stadt, die jahrelang während des Bosnienkriegs von christlichen Serben eingeschlossen wurde, die von den Hügeln herunter auf alles schossen, was sich in den Straßen bewegte – dass ausgerechnet hier, statt auf das Versagen der Kirchen hinzuweisen, und darauf, dass erst der bewaffnete Einsatz der Nato (lieber Heiko Kuschel, aufgepasst!) die Furcht beendete und den Frieden brachte – dass ausgerechnet hier der Papst irgendwas vom Dritten Weltkrieg und seinen internationalen Hintermännern raunte. Ein Raunen, das man überall in der Republika Srpska, dem serbischen Teil Bosniens, den ich in diesem Sommer besuchte: Hinter dem Krieg standen die Amerikaner, und hinter den Amerikanern stehen – „natürlich“ – die Rothschilds. 

[+++] Womit wir bei Xavier Naidoo wären. Der bekennende Christ teilt offenbar die Ansichten des Papstes über die wahren Schuldigen der Kriege, die wir Naivlinge radikalisierten Anhängern des Islam oder des Christentums in die Schuhe schieben: „Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken /  Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken / Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist'n Fuchs und ihr seid nur Trottel“.

Alles klar?

Nee. Rolf Stahlhofen von den Söhnen Mannheims entblödete sich nicht, Naidoos Zeilen zu verteidigen: Naidoo sei nicht antisemitisch, schließlich „arbeitet er mit einem jüdischen Konzertveranstalter zusammen“; und: „Warum soll Er nicht über Rothschild singen dürfen, die mir in Ihrer Geschichte nicht als Altruisten aufgefallen sind, Scheissegal was für einer Glaubenrichtung Sie angehören...“ (Klein- und Großschreibung so im Original.) „Ich hab keinen Funken Rassismus in mir... Mein Arschloch Radar funktioniert mittlerweiler sehr gut. Und das schlägt bei Xavier nicht aus...“, so Stahlhofen. Aber wer glaubt, bei den Rothschilds – und beim Antisemitismus überhaupt – gehe es um die „Glaubensrichtung“, der hat vom Rassismus der Väter Mannheims keinen Funken Ahnung. 

[+++] Ein Letztes noch in Sachen Antisemitismus: In vorauseilendem Gehorsam gegenüber einer völlig dämlichen Resolution der EU-Kommission hatte das Kaufhaus KaDeWe einige Produkte aus dem Sortiment genommen, die in israelischen „Siedlungen“ hergestellt werden, etwa Wein vom Golan, was früher zu Syrien gehörte, jetzt aber – sehr zur Erleichterung gerade der drusischen Bewohner – Teil Israels ist, weshalb die Drusen nicht von den Kämpfern Assads oder des Islamischen Staats verfolgt und ermordet werden. (Sie hören, Heiko Kuschel: das hat mit der Stärke der israelischen Armee zu tun, und weniger mit Israels Gottesfurcht.) Nun hat das KaDeWe nach Protesten, allen voran vom Grünen-Abgeordneten Volker Beck, einen Rückzieher gemacht.

Immerhin. Darauf einen Merlot von den Gamla-Weinbergen. 

Das nächste Geschenkpapier erscheint am Mittwoch.

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